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Abschied von den Kitzelstuben

■ Pan-Foto: Solidaritätsaktien sollen auf dem Weg zum nordddeutschen sozialdokumentarischen Archiv helfen

Der Chef macht oft einen grummeligen Eindruck: „Diese Pfeffersack-Mentalität der Kulturbehörde“, schimpft Günter Zint von Pan-Foto, dem sozialdokumentarischen Bildarchiv, als er seine mit Fotos gefüllten Archivschränke öffnet, „wenn wir nicht unsere Spenden hätten, könnten wir uns eine neue Bleibe gar nicht leisten“. Ein Umzug steht im April an, denn „die Bude ist voll“.

Günter Zint zückt die nächste Hängemappe: „Das ist der Star Club, hier die Beatles, das ist Paul McCartney bei der Einweihung des St. Pauli Museums.“ Ein Bild nach dem anderen holt der Fotograf hervor und zaubert so sichtbar schwarz-weiße Erinnerungen an Hamburgs eben vergangene Geschichte vor die Augen. Hamburg auf Fotos: Portraits alter Menschen aus Altona, Szenen aus dem Karolinenviertel, Roma und Sinti, Hafenstraßenleben mit Oma und Punk - Hamburger Zeit-Geschehen hautnah dokumentiert, verbirgt sich in der Wohlers Allee 12, den Räumen, in denen - noch - die Schätze des Archivs untergebracht sind. Mehr als drei Millionen Fotos liegen und hängen, stapeln sich grad noch mit Not in den alten Zimmern, bilden das Chaos des schmalen, knapp 130 Quadratmeter langen Kellerschlauch, einem vormaligen Puff.

„Kitzelstuben wurden die kleinen Kabuffs“ – mindestens zehn gehen jeweils rechts und links des schmalen Flurs ab – „zu erotischen Zeiten genannt“, erzählt Günter Zint. Von Berufsfotografen okkupiert, wurden daraus Archivräume, Repro- oder Dunkelkammern oder mit allerlei Nutzvollem wohlgefüllte Abstellzimmer, an deren Wänden ziemlich abenteuerlich anmutende Regalkonstruktionen balancieren.

Der Umzug in die beiden untersten Etagen eines Nachbargebäudesbedeutet zugleich einen Neuanfang und Expansion. Dort wird seit Monaten gewerkelt, Wände gezogen und modernisiert, um neben Foto-Agentur Platz für Seminar- und Tagungsräume zu schaffen. Zint will neben dem Archiv Einstiegshilfen für Berufsanfänger und Fotolaborkurse leiten. Ein Diskussionsforum und Worksshops sollen sich dort etablieren, über aktuelle Medienfragen referiert werden.

Der 53jährige Fotograf arbeitet seit 28 Jahren in Hamburg, vorzugsweise in St. Pauli und Altona. Seine Foto-Agentur hat er 1966 gegründet, mit dem Schwerpunkt - wie solls in den 60ern auch anders gewesen sein - Musikfotografie. John Lennon und Co, Jim Morrison und die Mini-berockte Mädel-Fangemeinde, Eric Burdon in einem Hotel auf St. Pauli - die ganzen legendären Objekte fotografischer Begierden der 60er hat Zint mit seiner Kamera eingefangen. Doch die Szene und auch Zints Interessen verlagerten sich 1968 von der Musik zur Politik und sozialen Themen.

Die ersten Aufnahmen der APO-Demonstrationen, der Freien Republik Wendland, der Anti-AKW-Bewegung und Bilder von Prozessen gegen Kriegsdienstverweigerer deuten den Wandel an. Zu einem sozialdokumentarischen Fotoarchiv mauserte sich die Agentur später. Bei Pan-Foto arbeiten zahlreiche Fotografen auf Honorarbasis, darunter die geschätzten taz-Fotoleute Marily Stroux und Hinrich Schultze. Ausstellungen werden organisiert und zu Schulen und Museen in ganz Deutschland auf Wanderschaft geschickt. Vor vier Jahren gründeten die Pan-Mitarbeiter das St. Pauli Museum. Seit die Kulturbehörde die Unterstützung strich, fristet es als heimatloses Wandermuseum sein Dasein, die zerlegten Einzelteile lagern wenigstens würdevoll im Eros-Center und in der Wohlers Allee.

Vor zwei Jahren wandelte sich Pan-Foto von einer GmbH zu einem Verein. Und wie jedes gemeinnützige Projekt wirbt dieser um Mitglieder und Spenden, doch auf originelle Weise: Anteilsscheine können erworben werden, als jährliche Dividendenausschüttung bekommen die Anteilseigner jeweils ein Buch. Bitte nicht En Alttakiler, die türkische Übersetzung von Günter Wallraffs Ganz unten, – auch wenn die Fotos des Buches von Günter Zint stammen. Die Bildbände und Fotodokumentationen von Pan-Foto e.V. sind doch wesentlich attraktiver.

Katrin Wienefeld

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