: Unwissende Chefs
■ Maison de France: Vorgesetzte behaupten, daß der Angeklagte ohne ihren Befehl Sprengstoff freigegeben hat
Im Prozeß um den Bombenanschlag auf das „Maison de France“ haben die früheren Vorgesetzten des Angeklagten jede Verantwortung für die Herausgabe des bei der Tat benutzten Sprengstoffs bestritten. Der Stasi-Abteilungsleiter Harry Dahl betonte, weder er noch sein Vorgesetzter, der stellvertretende Minister Neiber, hätten einen solchen Befehl gegeben. Vielmehr hätte der Angeklagte auf eigene Verantwortung gehandelt. Bei dem Anschlag am 25. August 1983 waren ein Mensch getötet und 23 schwer verletzt worden.
Der ehemalige Oberstleutnant Helmut Voigt hatte dagegen vor Gericht ausgesagt, als Unterabteilungsleiter habe er auf Befehl von Dahl die ein Jahr zuvor beschlagnahmten vierundzwanzig Kilogramm Sprengstoff an die „Gruppe Carlos“ zurückgegeben. Der Sprengstoff sollte in der Botschaft Syriens gelagert werden, unter dessen Schutz die Terrorgruppe stand. Entgegen dieser Vereinbarung wurde der Sprengstoff aber für den Anschlag auf das französische Konsulat benutzt.
Der als Zeuge geladene Stasi- Oberst Dahl behauptete, er habe nicht einmal von der Rückgabe des Sprengstoffs erfahren. Auch habe er von einem geplanten Anschlag in West-Berlin nichts gewußt. Er mußte allerdings einräumen, doch Empfänger eines Berichts mit entsprechenden Informationen gewesen zu sein. Die Kenntnisse über den geplanten Anschlag auf das „Maison de France“ hatten Stasi- Leute ein halbes Jahr vor der Tat durch eine Durchsuchung beim „Carlos“-Stellvertreter Weinrich erhalten. Dieser hielt sich oft in Ost-Berlin auf. Den brisanten Bericht will auch der Angeklagte nie gesehen haben.
Belastet wurde Abteilungsleiter Dahl jedoch durch seinen damaligen Stellvertreter Günter Jäckel. Der will zwar ebenfalls nichts mit der Freigabe des Sprengstoffs zu tun gehabt haben, zeigte sich aber überzeugt, daß Voigt keinesfalls ohne Befehl von Dahl gehandelt habe. Dahl wiederum, so erläuterte Jäckel aus jahrelanger Kenntnis der Entscheidungsstrukturen, hätte keinesfalls ohne schriftlichen Befehl des stellvertretenden Stasi- Ministers Neiber gehandelt. In den Stasi-Unterlagen ist ein solcher Befehl nicht aufzufinden – weil er vernichtet wurde, mutmaßt die Staatsanwaltschaft.
Auch die Behandlung eines anderen Vorgangs läßt Dahls Version unglaubwürdig erscheinen. So wurde der Carlos-Gruppe drei Jahre vor dem Anschlag auf das „Maison de France“ erst nach ausdrücklichem Befehl von Neiber und Dahl eine von der Stasi zuvor beschlagnahmte Waffenkiste zurückgegeben. Diese Kiste mit Pistolen, Handgranaten und Panzerfäusten wurde dann mit Stasi-Hilfe an die spanische ETA übergeben. Gerd Nowakowski
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