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König von Deutschland

Das alles und noch viel mehr: Harald Juhnke als Herrscher Garderobian thront über armen Leuten mit gerußten Gesichtern  ■ Von Hans-Herrmann Kotte

Das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ des Dänen Hans Christian Andersen ist kurz. Eine Parabel, die höchstens sieben Buchseiten umfaßt und von einem eitlen Herrscher und Modegeck handelt, der sich von seinem verlogenen Hofstaat umschmeicheln läßt. Aus dem Märchen stammt der ebenso kurze Ausspruch „Der Kaiser ist nackt!“, der sich bis heute als stehende Wendung gehalten hat. Der Stoff um den unsichtbaren Stoff dürfte unzählbar oft für Groß und Klein aufgearbeitet worden sein.

Jetzt, mitten in der „Werte“- Diskussion und einer Zeit, in der Politiker zunehmend Schwierigkeiten mit der Selbstvermarktung haben, wurde ein deutscher Spielfilm für Kinder daraus. Hergestellt im Auftrag des Medienmoguls Leo Kirch, des ZDF und des spanischen Fernsehens TVE, begleitet von der Aktion „Kinder haben Mut“ unter Schirmherrschaft des früheren Bundesbildungsministers Ortleb (FDP) und Jugendministerin Merkel (CDU). Um auf 90 Minuten zu kommen, pfropften Regisseur Juraj Herz und Autor Bernd Fiedler dem Märchen ein Sozialdrama mit geknechteten Webern sowie eine alberne Doppel-Liebesgeschichte auf.

Im Reich des Kaisers Garderobian II. (Harald Juhnke) leben die unteren Stände in pittoresker Armut. Die sozial Schwachen tragen Ruß im Gesicht und sehen ansonsten blitzsauber aus. Mit immer neuen Steuern quält die Finanzministerin Herzogin Rüsche (Andrea Ferreol) fantasievoll die Bürger. Schließlich wollen die Faltenwürfe für den einfältigen Kaiser (Erkennungsmerkmal: Stottern) finanziert sein. Jede Woche eine neue Kollektion.

Und wer als Untertan die Kleiderabgaben nicht mehr zahlen kann, wandert in „Umerziehungslager“, muß bei Wasser, Brot und wabernder Synthie-Musik weben, was die Webstühle halten. Das könnte ewig so weitergehen, wäre da nicht ein aufmüpfiger pubertärer Held aus dem Volke (Jan Kalous als Tobias) sowie der sich im Kreativ-Tief befindende „Hofmodeschöpfer“ Lorenzo (Carsten Voigt).

Lorenzo und sein Model Tobias beschließen, „den ungerechten Herrscher bloßzustellen“ und die Herzen der armen Maria (Therese Herz) und ihrer Tochter Jenny (Annelie Herz) zu gewinnen. Mit den „unsichtbaren“ Klamotten, die keine sind, legen sie den Kaiser herein.

Abgesehen davon, daß die Jenny viel zu jung besetzt ist (so um die piepsigen acht Jahre alt) und der Couturier und sein buddy ein besseres Paar wären, ist der Film vor allem wegen seiner politischen Message ärgerlich. Die „Betrüger“ mit dem Zauberstoff sind keine schnöden Gauner wie im Märchen, sie müssen Sozialrevolutionäre aus romantischer Liebe sein und kommen als verkleidete, radebrechende Orientalen daher.

Das Ende ist auch nicht offen wie beim Dänen. So prozessiert der Kaiser am Schluß nicht bloß blöde in Unterwäsche durch die Straßen, nein: Er „zeigt sich einsichtig“, bestraft sich selbst für seine Dummheit und „gesteht, daß man ihm die Augen geöffnet hat“. Aus dem schlechten Herrscher wird ein guter, und Herr Ortleb und Frau Merkel werden's zufrieden gewesen sein.

„Des Kaisers neue Kleider“. Regie: Juraj Herz, mit Harald Juhnke, Andrea Ferreol u.a. Deutschland 1993, 90 Minuten, Farbe.

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