: Drastische Un- und Abartigkeiten
■ Mariola Brillowskas „Fifi“: Ein Spielfilm wächst langsam / Westwerk zeigt den Stand der Dinge
Der Hund hat's gut. Er sitzt den ganzen Tag auf dem rosa Sofa und sieht TV. Die Programme wechselt er durch bellen, denn Lola, sein Frauchen, hat für ihn einen Voice-Piloten montieren lassen. Manchmal, wenn ihre Arbeit auf dem Strich es zuläßt, sehen beide auch gemeinsam fern und der nette kleine Bullterrier wird dann ganz lieb gestreichelt. Sonst bringt die Putzfrau Abwechslung und Futter. Eigentlich gibt es also gar keinen Grund für den lieben Dauerfernseher von Gewalt und Porno dem Wahnsinn zu verfallen und Lola anzugreifen.
Diese Story beschreibt nur unzureichend den neuen, achtminütigen Trickfilm von Mariola Brillowska und Charles Kissing, denn deren Filme sind vor aller Inhaltlichkeit ein grafisches, formales Experiment, in dem Figuren mit nur einer „Kommunikationsöffnung“ im Kopf sich zu behaupten versuchen. Die auf klassische Weise handgezeichneten und in kaum mehr als sechs ungemischten Farben kolorierten Bilder werden mit nur acht Vorlagen pro Sekunde in Bewegung gebracht, statt der in Europa üblichen zwölf oder gar fünfundzwanzig, wie bei Disney.
So vermählen sich Malerei und Film zu einem schrillen Stakkato einer künstlichen Welt voller Sex und Crime. Mariola Brillowska nutzt eine Vielzahl künstlerischer Techniken zum Aufbau ihres ganz privaten Universums von Personen und Obsessionen: Malerei in Öl auf Leinwand, Installation und plastische Figuren, Text und Comic- Publikation und seit neun Jahren Animation. Ihre Kurzfilme wurden auf Festivals schon mehrfach ausgezeichnet, obwohl die Filmbewertungsstelle in einem Gutachten zu dem vernichtenden Schluß kam, „diese Animationsart ist unzulässig“. Tatsächlich sind es eher die drastischen sexuellen Un- und Abartigkeiten, die Alt- und Neukonservative lieber im Dunkel goutieren als frech im Trickfilm präsentiert sehen wollen. Wegen der sexuellen Aspekte werden die Arbeiten auch am häufigsten abgelehnt, andererseits sind gerade sie es, die die Filme vor der netten Gefälligkeit leicht fernsehvermarktbarer Unterhaltung bewahrt. Wie der vom Hamburger Filmbüro geförderte neue Streifen Fifi sind auch alle anderen Kurzfilme Bausteine zum jahrelang erstrebten großen Werk, dem abendfüllenden Spielfilm Katharina & Witt, in dem die 33jährige Künstlerin die Teilansichten ihrer Welt zusammenfügen will. Es ist ein Film über den Kunstbetrieb, in dessen gnadenlosen, dem Sport nicht unähnlichen Vermarktungsspiel die beiden Akteure zwischen Künstlern und Vermittlern, Idealisten und Geldadel, Agenten und Verbrechern ihren Erfolg suchen. Einen Einblick in ihre Welt gibt heute abend das Westwerk. Anläßlich der Premiere von Fifi werden auch alle bisherigen Filme und zahlreiche Folien und Prototypen der Bilder gezeigt, dazu neues, rohes Filmmaterial zum abendfüllenden Spielfilm, dessen Dialoge life von der Autorin und Charles Kissing gesprochen und von Felix Knoth mit Musik untermalt werden. Hajo Schiff
Heute 21 Uhr, Admiralitätsstr. 74
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