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91 Kliniken des Organhandels verdächtig

■ Hessische Gesundheitsministerin Blaul hat bundesweite Untersuchungen ausgelöst / Staatsanwaltschaft ermittelt in vier Fällen

Berlin (taz) – Mindestens 91 Krankenhäuser von Kiel bis Paderborn verkaufen Leichenteile – in der Regel Hirnhäute und Hornhäute von Augen. In vier Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil Sektionsangestellte gegen hausinterne Vorschriften verstoßen haben, wonach eine Veräußerung von Leichenteilen verboten ist. Die bundesweiten Untersuchungen hat die hessische Gesundheitsministerin Iris Blaul (Bündnis 90/Grüne) ausgelöst, die eine Liste mit insgesamt 91 verdächtigen Kliniken an ihre Kollegen in allen Bundesländern weitergegeben hat.

Die Liste, die der taz vorliegt, stammt von dem Arzneimittelhersteller Braun/ Melsungen AG. Ministerin Blaul hatte bei der auskunftspflichtigen Aktiengesellschaft noch im vergangenen Jahr die Adressen der Anbieter von Organen, Organteilen und Geweben verlangt. Ihre Absicht war ursprünglich nur, die Praktiken von hessischen Krankenhäusern zu untersuchen.

Die Weitergabe der Lieferantenliste an andere Bundesländer hat noch nicht absehbare Folgen. In Berlin ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen alle drei Krankenhäuser, die das hessische Unternehmen mit Hirnhaut belieferten: das Klinikum Charlottenburg, das St.-Gertrauden- Krankenhaus und die Rudolf-Virchow- Klinik (RVK). In Hessen laufen Ermittlungen gegen die städtische Klinik Kassel, in der von vier Verstorbenen drei seziert wurden – 600 Leichen wurden im vergangenen Jahr geöffnet. Die Strafverfolger ermitteln bei allen vier Häusern wegen des Verdachts der „Störung der Totenruhe“. Die Klinikleitungen reagierten unterdessen mit Entlassungen. Drei Angestellten der Sektionsabteilungen wurde gekündigt, ein leitender Mitarbeiter seines Postens enthoben.

Ob Leichen geöffnet werden dürfen, um ihren Inhalt weiterzuverkaufen, ist rechtlich umstritten. Die Juristen des hessischen Gesundheitsministeriums sind der Auffassung, daß zumindest jede Leichenschau, die nicht zur Feststellung der Todesursache oder der Wissenschaft dient, rechtswidrig ist. Dies könne nicht einmal eine Einwilligung des Patienten oder von Angehörigen ändern. Aber die Leichenfledderer fragen ohnehin nicht: In zehn hessischen Häusern, die das Arzneimittelunternehmen belieferten, sei nur „mit wenigen Ausnahmen“ eine Erlaubnis der Patienten oder der Angehörigen eingeholt worden, heißt es in einem Bericht der Ministerin.

Die Ministerin fordert deshalb auch ein Obduktionsgesetz. Mit dem Gesetz soll die Entnahme von Organteilen eindeutig geregelt werden. In anderen europäischen Ländern existiert bereits solch ein Regelwerk. Aufnahmeformulare seien für Laien mit Absicht unverständlich gehalten, hieß es aus dem Gesundheitsministerium in Hessen. Diese Praxis sei bundesweit gang und gäbe, behaupten Gesundheitsexperten. Die Sezierer sind der Ansicht, daß der Patient oder ein Verwandter einer Entnahme widersprechen müßten – aber von den Pathologen werden diese über die geplante Plünderung gar nicht informiert.

Gestern stritten einzelne Krankenhäuser, die von Braun/Melsungen als Lieferanten angegeben wurden, den Handel mit Hirnhäuten ab. Die Verwaltungsdirektorin Gisela Schmidt vom Altstadt-Krankenhaus in Magdeburg konnte sich solche Lieferungen „nicht vorstellen“. Der Chef- Pathologe der Uni-Kliniken in Tübingen, Burkhard Bültmann, behauptete, die Geschäftsverbindungen zu dem hessischen Unternehmen seien vor zehn Jahren beendet worden.

Hamburg ist wohl der nächste Fall für den Staatsanwalt: Das Allgemeine Krankenhaus Heidberg hat an Braun/Melsungen geliefert – entgegen einer hausinternen Weisung. Dirk Wildt

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