: Pubertierendes Kunstobjekt
■ Nirvana: Eine kurze Nachbetrachtung zu der Band der frühen Neunziger
Die Kölner Musikzeitschrift „Spex“ brachte das Jahr '92 auf den Punkt, indem sie in jede Überschrift ihrer Jahresrückblicksausgabe an im Satzbau passender Stelle das kleine Wörtchen „Nirvana“ implantierte. Im Hintergrund dieses einmaligen Geschehens weinte immer noch still ein Grüppchen, das sich ihres intimen Schatzes beraubt fühlte, ansonsten hielten sich abgeklärtes Nicken und verständnisloses Kopfschütteln die Waage.
Schreiberlinge, die sich bis dato nie die Mühe gemacht hatten, mal abseits der breiten Straße zu gucken, kritzelten, als es nicht mehr anders ging, schnell ein neues Weltbild zusammen, von den Ausgräbern dagegen verstummten viele verhärmt oder zogen sich noch weiter in ihre Seperatisten-Ecken zurück. Es geschah etwas, und einiges daran war gar nicht so schlecht, vergleichbar in Relation von Licht und Schatten mit dem Amerikanischen Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dort wurde ein Anti-Held zum Held, eigentlich nichts Neues im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit, nur daß dieser inzwischen mit einer gewaltig potenzierten Effektivität die gleichgeschaltete Jugend des Planeten erfaßte.
„Here we are now, entertain us“ (Smells Like Teen Spirit) legten drei junge Männer ihrem Publikum in den Mund – nicht zu differenziert, nicht zu dumm, nicht zu schwierig, nicht zu platt und der Ehrlichkeitswahn bekam eine ganz neue Dimension, deren unerträglichste Momente uns gewiß noch bevorstehen. Tatsächlich aber war die Welt konfrontiert mit einem eruptiv pubertierenden, in Selbstschutz und Inszenierung kämpfenden Kunstobjekt: Trotz, Drugs & Rock'n'Roll fanden auf globaler Medienebene mit dem bekannten, intimitätslechzenden Overkill statt, nur daß Kurt Cobain weder Mick Jagger noch Madonna ist, sondern eher das Gegenteil.
Der plötzliche Erfolg und das augenscheinlich nicht vorbereitete Objekt, in dieser offenen Wunde verbarg sich von jeher viel Covermaterial. Doch in dem unaufhörlich saugenden Erfolgsstrudel liegt die Sackgasse verborgen. Die unterschwelligen Gründe, die den wuchtigen Power-Pop zum Status Quo der unter 20-jährigen machte, sind irreparabel angesägt: Frische, das Neue, das wilde andere, das Ehrliche, das Echte, zu dem Aussagen gehörten wie: „Wenn ich nicht mehr das Kino verlassen kann, ohne erkannt zu werden, bringe ich mich um.“ Klar. Auch The Who wollten sterben, bevor sie alt werden, das will die Jugend hören. Wo ist das Problem? Im menschlich-zweifelnden Rückzug von der Front großer, wilder Worte liegt wahrlich keine schlechtere Musik.
Nur: Dieser Überbau muß weg. Denn ohne ihn gibt es, mal abgesehen von einer Rauhheit, die keine mehr ist, weil sie inszeniert werden muß, keinen Grund, Nirvana jetzt scheiße zu finden. Daß der mit Pauken und Trompeten erweckte Weltwunsch, sich (auch mal) für etwas anderes als Stadionmusik zu interessieren, ein gesamtheitlich auf Punk-Schuppen ausgelegtes Rock-Trio zwangsläufig in die Mehrzweckhallen treibt, ist fraglos pervers, aber Perversion hat ja auch was Geiles (zudem Cobain das abflauende Nirvana-Feuer mit der Ankündigung einer bevorstehenden Auflösung nachzwei weiteren Alben jüngst nochmal anschürte). Der ursprünglich angesprochene Teen Spirit allerdings...der sollte dann der eigenen Jugend (oder Möchtegern-Jugend) zuliebe doch später im intimen Bereich gesucht werden. Holger in't Velt 18.3., Sporthalle, 20 Uhr
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