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Gitterstäbe zu Duschvorhängen

■ „Der Unbequeme“ im Türkischen Theater Tiyatrom

Ein Stacheldraht schraubt sich vom Wachhäuschen in den Horizont. Oben trifft er auf Galgenstricke, die dort so selbstverständlich schweben, als wären es Wolken.

Doch einen will dieser Draht zum Himmel nicht recht beeindrucken. Der Protagonist im türkischen Bühnenstück „Der Unbequeme“ („Sakincali Piyade“) von Ugur Mumcu ist ein fragender Nimmersatt, ein Chronist einer Zeit der grotesken Machtgebärden und totalitären Hysterie. Bei Regisseur Rutkay Aziz trägt die namenlose Figur insgeheim den Namen ihres Erfinders. Gesichtszüge wie Brillengestell sind dem Original nachempfunden – eine Hommage an Mumcu (der 1993 bei einem Bombenattentat durch Unbekannte ums Leben kam), die sich ihres Pathos nicht schämt. Rote Nelken vor dem Bild des Verstorbenen im Foyer, rote Nelken über seinen Büchern, die sich auf dem Bühnen-Scheibtisch des „Unbequemen“ türmen.

Authentische Beobachtungen, Anekdotisches und Realtragödien aus den siebziger Jahren, als das türkische Militär Präsidenten wie Wandteller sammelte, hat der mehrfach ausgezeichnete Journalist und Bühnenautor hier zu einer Collage über Ohnmacht in der Diktatur gefügt. Unter Nihat Erim, den die Armee 1971 zum Staatsoberhaupt krönte, wurde die Verfolgung abtrünniger linker Intellektueller oberste Handlungsmaxime der Uniformierten. Eine aberwitzige Parade staatlich geförderter Donquichotterie spiegelt Mumcu, der in dieser Zeit selbst die Feder gegen die Feuerwaffe eintauschen mußte, in seinem Theatertext wider.

Da flüchtet sich ein General bei einem Schüßchen hinter seine Mannschaft. Zitternd nähert sich ein Spähtrupp einem Bücherhaufen wie einer tickenden Zeitbombe. Immer wieder Gitterstäbe, die nur der unbequeme Mumcu wie Duschvorhänge zur Seite schieben kann.

Die Bühnenzeichen sind unmißverständlich, auch für deutschsprachige Theaterbesucher. Und die humoristische Didaktik des unfreiwilligen Soldaten spricht aus jeder spöttisch hochgezogenen Augenbraue, aus jeder mißlungenen Imitation militärischer Stärkedemonstrationen.

Eines geht dem deutschen Publikum jedoch flöten: die kabarettistischen Tiefschläge und der bissige Wortwitz. Beides muß wohl trefflich gewesen sein, ebbte doch das Gelächter der 100 türkischen Besucher kaum ab. Birgit Glombitza

Noch heute, 20 Uhr und am Sonntag, 19 Uhr in der Alten Jakobstraße 12, Kreuzberg

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