: Zum Umgang mit Rassetheoretikern
■ In Ungarn ist Rehabilitierung offiziell kein Thema
Im Parlament am Budapester Donaukai übt ein Abgeordneter der Regierungskoalition herbe Kritik an Domokos Kosary, dem Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Er fordert die Rehabilitierung „eines der bedeutendsten Anthropologen der Welt, des von den Kommunisten verfolgten Ferenc Orsos“. Der Präsident kennt das Thema: „Solange ich auf diesem Posten sitze, wird der bekannteste Verbreiter der Rassenschutzideen der Nazis nicht wieder Mitglied“, kontert er. Der Abgeordnete protestiert, bekommt aber kaum Unterstützung.
Ein viel größeres Echo hatte es gegeben, als im vergangenen Sommer Miklos Horthy, Ungarns in der Emigration verstorbener Zwischenkriegsreichsverweser in der Heimat bestattet worden war. Etwa 50.000 Menschen waren zum einstigen Besitz der Horthys gepilgert, unter ihnen mehrere Minister. Der damals noch lebende Ministerpräsident Jozsef Antall hatte sich bei der vom Fernsehen übertragenen Trauerfeier durch seine Frau vertreten lassen. In Budapest veranstaltete die Demokratische Charta eine Gegenkundgebung.
Ungarn versucht nicht etwa, Kollaborateure zu rehabilitieren. Die Intellektuellen der Demokratischen Charta haben zwar allerlei Schlechtes über Horthy gesagt, aber als „Nazi-Kollaborateur“ bezeichnen nicht einmal sie ihn. Der Reichsverweser war nämlich auf Hitlers persönlichen Befehl hin entführt und in Gefangenschaft gehalten worden. Ein Sohn Horthys kam bei einem Flugzeugunglück ums Leben, bei dem die SS eine Rolle gespielt haben soll. Andererseits hat Horthy zwar Hitler harten Widerstand entgegengesetzt, was die Deportierung der Budapester Juden betraf, aber für die 600.000 Juden auf dem ungarischen Land hat er nichts unternommen. Horthys Rehabilitierung soll so weniger die Kollaboration, als vielmehr die ultrakonservativen ungarischen Nationalisten in einem besseren Licht erscheinen lassen. Der Fall von Professor Orsos ist da eindeutiger, denn der hat sich offen als Freund der Nationalsozialisten bekannt und alles unternommen, um die Rassentheorien „wissenschaftlich“ zu fundieren. Unter jenen, die für seine Rehabilitierung kämpfen, sind auch heute noch einige, die mit diesen Theorien einverstanden sind.
Für die größte Verwirrung hat indessen die Politik der Kommunisten gesorgt. Denn viele der Prozesse gegen echte Kriegsverbrecher waren eine Farce, weshalb viele Ungarn zur Überzeugung gelangten, daß jeder von einem kommunistischen Gericht Verurteilter ein Märtyrer sei. Doch jeden Fall einzeln zu verhandeln, wäre ein viel zu großer Aufwand – ganz abgesehen davon, daß dieses Problem für viele ohnehin nicht zu den wichtigsten des Landes gehört. Tibor Fenyi, Budapest
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