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Nicaraguas Indios erheben die Stimme

Die Miskitos und Schwarzen an der nicaraguanischen Atlantikküste wählen eigene Regionalparlamente / Tragische Figuren in einer Kampfansage an die Zentralregierung in Managua  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) – Der Wahlkampf endete mit Handgreiflichkeiten und zwei Schwerverletzten, als Anhänger der indianischen Organisation „Yatama“ über Sympathisanten der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) herfielen. Schauplatz: Puerto Cabezas, die Hauptstadt der nicaraguanischen „Autonomen Region Nordatlantik“, wo die Kriegsgegner vom vergangenen Jahrzehnt um die Hegemonie im Regionalparlament ringen. Am Sonntag wird in Nicaragua gewählt – allerdings nur in der östlichen Landeshälfte, den Autonomen Regionen Nord- (RAAN) und Südatlantik (RAAS) der karibisch geprägten Atlantikküste.

Es ist das erste Kräftemessen in Nicaragua seit der Wahlniederlage der Sandinisten vor vier Jahren und gilt dementsprechend als Testwahl, obwohl es um ganz spezifische Probleme der bisher nur der Form nach autonomen Provinzen geht. Die wichtigsten Gruppen, die sich als Opposition zur Regierung Chamorro betrachten, kandidieren hier gegeneinander, während Präsidentin Violeta Chamorro kein Pferd im Rennen hat.

Was nicht heißt, daß sie in der Region keine Freunde hat. Wenige Wochen vor den Wahlen vom Februar 1990 hatte Chamorro mit einem Bündnis mit dem einflußreichen Miskito-Führer Brooklyn Rivera die Öffentlichkeit überrascht. Durch besonderes Interesse für die Autonomiebestrebungen der indianischen Organisationen und die Probleme der Atlantikküste im allgemeinen hatte sich ihre UNO- Koalition bis dahin nicht hervorgetan. Der Pakt erwies sich als taktischer Geniestreich: Brooklyn Rivera, der jahrelang gegen die sandinistische Regierung gekämpft hatte, wurde nach gewonnener Wahl zum Direktor des neugeschaffenen Instituts für die Autonomen Regionen (Indera) gemacht und damit politisch kaltgestellt. Das unterfinanzierte Institut in Managua erwies sich als beabsichtigtes Hindernis für die Autonomiebestrebungen, und Rivera verlor als Instrument der Zentralregierung jede Glaubwürdigkeit gegenüber seinen Leuten.

Deswegen werden seiner „Yatama“ jetzt nur geringe Chancen eingeräumt. In den Umfragen liegen die FSLN und die Liberalkonstitutionalistische Partei des rechtsradikalen Bürgermeisters von Managua, Arnoldo Aleman, an der Spitze. Diese seltsame Konstellation hat eine für die Atlantikküste typische Vorgeschichte: Als die Parteien im Oktober aufgerufen waren, sich für die Wahlen einzuschreiben, wunderte sich der Präsident des Obersten Wahlrates, Mariano Fiallos, nicht wenig, als nacheinander Brooklyn Rivera und Steadman Fagoth ankamen, um die Miskito-Organisation einzutragen. Fagoth, gemeinsam mit Brooklyn Rivera und Hazel Lau einer der Gründer der 1979 von den Sandinisten ins Leben gerufenen Indianerorganisation „Misurata“, ist eine tragische Figur; in den vergangenen 15 Jahren hat er sich abwechselnd mit Rivera überworfen und wieder verbündet. Während Rivera nach dem Bruch mit den Sandinisten von Costa Rica aus mit dem ehemaligen Guerillaführer Eden Pastora kämpfte, operierte Fagoth von Honduras aus mit der Rückendeckung der Contras und der CIA. Und während Rivera zuletzt als Marionette der Chamorro-Regierung in Managua saß, konnte Fagoth im vergangenen Mai in Waspan am Rio Coco den ersten „Yatama“-Kongreß einberufen. Die vom Ältestenrat der Miskitos abgesegnete Veranstaltung, die allgemein als Erfolg betrachtet wurde, sprach sich für die sofortige Implementierung des Autonomiegesetzes aus und verstieß Rivera, der den Kongreß zu torpedieren versuchte, aus allen Parteiämtern. So kam es, daß sowohl Brooklyn Rivera, der eine Anzahl von Gemeinden an der Küste hinter sich weiß, als auch Steadman Fagoth als legale Repräsentanten von „Yatama“ beim Wahlrat vorstellig wurden.

Bevor sich der Oberste Wahlrat zu dem Konflikt äußern konnte, sprang Aroldo Aleman ein, der in Hinblick auf seine geplante Präsidentschaftskandidatur 1996 an der Atlantikküste Fuß fassen will. Er kaufte die Fagoth-Fraktion buchstäblich auf; 30.000 Dollar sollen bei dem Deal über den Tisch geschoben worden sein. Fagoth, der ideologische Wechselbäder nie gescheut hat, hatte sich zuerst den Sandinisten angedient, war dort jedoch abgeblitzt.

Sowohl Fagoth als auch die FSLN haben sich in ihrer Wahlkampagne für die sofortige Implementierung der Autonomie eingesetzt. Expräsident Daniel Ortega versuchte außerdem mit dem Versprechen, die Wehrpflicht aus der Verfassung zu tilgen, jede Erinnerung an die düstere Vergangenheit, als sandinistische Soldaten an der Atlantikküste für Angst und Schrecken sorgten, zu tilgen. Anders als fast alle anderen Parteien verzichteten die Sandinisten auch auf jeden direkten verbalen Angriff gegen ihre Rivalen und beschworen die Einheit der „Costenos“.

94.277 Personen, das sind fast 85 Prozent der theoretisch Wahlberechtigten, haben sich für diesen Urnengang eingeschrieben. Sie können im Norden zwischen zwölf, im Süden zwischen 14 Parteien und Bürgervereinigungen wählen. In den jüngsten Umfragen zeigten sich jedoch 60 Prozent unentschlossen. Zu groß ist nach dem blutigen Kampf um die Autonomie die Enttäuschung über alle Politiker.

Auch die Gouverneure der beiden Autonomen Regionen und die Abgeordneten zu den Regionalparlamenten, die die indianischen Ethnien und die Schwarzen vertreten sollen, erwiesen sich mehrheitlich als inkompetent, korrupt und schlicht unfähig, die Autonomieforderungen gegenüber Managua zu vertreten. Die Politiker der Hauptstadt zeigen aus schlichter Ignoranz oder wohlkalkulierten wirtschaftlichen Interessen wenig Interesse an der Verwirklichung der Autonomie, die die bisherige Verfügung der Zentralregierung über die Ressourcen der Karibikküste einschränken würde. Die Fischereiindustrie in Bluefields wurde beispielsweise zugunsten von Verwandten der Spitzenpolitiker privatisiert, und auch bei der Holzausbeutung naschen mehrere Politiker mit. Die 1981 verstaatlichten Goldminen sollen US-amerikanischen Konzernen zurückgegeben werden.

Und ohne den Druck der skandinavischen Länder, die die vier Millionen Dollar teure Veranstaltung finanzieren, könnten diese Wahlen gar nicht stattfinden. Violeta Chamorro hätte sie lieber abgesagt – aus Kostengründen.

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