: Verfassungsschutz und RAF in einem U-Boot
■ Bundeskriminalamt ist überzeugt, daß V-Mann Klaus Steinmetz gleichzeitig Mitglied der RAF war / Trotzdem Einstellung der Ermittlungen
Berlin (taz) – Klaus Steinmetz, der „dritte Mann“ von Bad Kleinen, war nicht nur V-Mann des Verfassungsschutzes, sondern gleichzeitig „Kurier“ und „vermutlich tragendes Mitglied“ der RAF. Zu diesem aufsehenerregenden Ergebnis kommt die für die Ermittlungsarbeit zuständige Terrorismusabteilung (TE11) des Bundeskriminalamts (BKA) in einer 18seitigen internen Analyse. Das mit dem Stempel „Nicht gerichtsverwertbar“ versehene Papier vom August 1993 liegt der taz vor.
Aus den nach der blutigen Festnahmeaktion von Bad Kleinen Ende Juni 1993 bei Birgit Hogefeld und dem erschossenen Wolfgang Grams gefundenen Schriftstücken und sonstigen Asservaten schließen die BKA-Fahnder, „daß Steinmetz als Kurier von persönlichen Briefen fungiert hat“. Zu konspirativen Postbotendiensten dieser Art werden, so das BKA, jedoch nur Personen ausgewählt, die mit den RAF-Illegalen „ein langjährig erprobtes und exponiertes Vertrauensverhältnis“ verbindet. Folglich könne „die Wahrscheinlichkeit als hoch bezeichnet werden, daß bereits weit im Vorfeld des angeblichen ersten Treffens im Herbst 1991 Kontakte zwischen Hogefeld/Grams und Steinmetz bestanden und dieser eine wesentlich bedeutendere Rolle innerhalb der RAF-Strukturen eingenommen hat“.
Auch anläßlich des konspirativen Meetings in Bad Kleinen habe der V-Mann in „gesammelter Form“ Briefe an die RAF- Aktivisten weitergegeben und möglicherweise sogar nach seiner Scheinfestnahme Briefe Birgit Hogefelds an ihre Mutter und eine Frau aus der linken Szene vor den Staatsschützern versteckt.
Den Inhalt dieser beiden Briefe rekonstruierten die Spurenauswerter später aus dem Carbonband der Schreibmaschine Hogefelds. Die Originale tauchten bis heute nicht auf. Im BKA kursieren nach Informationen der taz Mutmaßungen, wonach der Mainzer Verfassungsschutz mit Unterstützung führender BKA-Beamter kompromittierende „Beweismittel verschwinden“ ließ.
Die Terrorismus-Fahnder des BKA halten auch die Aussage des V-Manns für unglaubwürdig, daß er von der RAF- Kommandoaktion auf den Gefängnisneubau von Weiterstadt nichts gewußt habe. Bei der Knastsprengung war Ende März letzten Jahres ein Sachschaden von etwa 130 Millionen Mark entstanden. Nach der Festnahmeaktion in Bad Kleinen hatte Steinmetz zunächst zugegeben, im Vorfeld des Anschlags aus den Reihen der RAF informiert worden zu sein. Seither steht die Frage im Raum, ob auch der Verfassungsschutz von der bevorstehenden Aktion wußte und aus taktischen Erwägungen nicht einschritt.
Vor zwei Wochen stellte die Bundesanwaltschaft ein im letzten Sommer wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz ein. Der V-Mann lebt derzeit an einem unbekannten Ort unter der Obhut der Polizei. In den Wochen nach der Schießerei in Bad Kleinen, bei der der GSG-9-Beamte Michael Newrzella und das RAF-Mitglied Wolfgang Grams ums Leben kamen, hatte Steinmetz mehrfach Versuche unternommen, wieder Anschluß an die linke Szene in Wiesbaden zu bekommen, aus der er stammte.
Der frühere Student der Lebensmittelchemie war 1984 in Kaiserslautern vom rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz angeworben worden. gero Seite 5
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