: Nein, das ist nicht Erich in Person!
■ Bilder aus Ostdeutschland eröffnen das neue, alte „Kunstforum Am Markt“
Unter neuem Namen soll ein neuer Anfang gemacht werden: Mit einer großartigen Schau ostdeutscher Fotografie will das „Kunstforum Am Markt“, vormals „Fo-rum Langenstraße“, vormals „Fotoforum“, wieder Leben in die darniederliegende Ausstellungshalle im Stadtzentrum bringen. Drei Generationen von Leipziger Fotografen eröffnen uns nun Einblicke v.a. in das Leben am Rande der offiziellen Staatskultur.
Unter dem Titel „Lebensräume“ werden hier Land und Leute meist aus nächster, nachbarschaftlicher Nähe und mit viel Sympathie beoachtet. Dabei entsteht eine intime Atmosphäre, die allerdings vom Bremer Ausstellungsort selbst auf eine harte Probe gestellt wird: In den weiten, weißen Hallen des „Kunstforums“ nämlich wirken die kleinformatigen Bilder, trotz ihrer Zahl (150 Fotos, zumeist Serien) einigermaßen verloren. Und stellen schon wieder gleich die Frage, ob der alte, neue Kunstplatz am Markt überhaupt der richtige ist für die Sache der Fotografie.
Denn das „Kunstforum“ will ja durchaus die Nachfolge des verblichenen „Fotoforums“ antreten, zumindest wenn es nach der Ausstellungsmacherin Barbara Claassen-Schmal geht. Weil es seit dem Niedergang des „Fotoforums“ keinen festen Platz gibt in der Stadt, an dem die Fotografie in all ihren Perspektiven diskutiert werden könnte, soll das „Kunstforum“ vor allem diesem Medium eine Heimstatt bieten; Ausflüge in die Video- und Medienkunst nicht ausgeschlossen. Schon seien die „Aktivisten des Fotoforums“ wieder mobilisiert, zumindest einige. Mit deren Hilfe soll nun ein (auch für die umherstreunenden Touristen) attraktives Forum für die Fotografie wiedererstehen.
Das genaue Profil der Institution will Claassen-Schmal in der jetzigen Übergangszeit entwickeln. Ab dem Spätherbst soll dann eine definitive „Organisationsform“ gefunden sein. Bis dahin leitet sie kommissarisch die Geschicke des Hauses, im Auftrag der Kulturbehörde. Die kann, außer dem ehrenvollen Auftrag, freilich keine weiteren Hilfen verfügen. Geld für die Innenarchitektur, gar einen Ausstellungsetat gibt es vorerst nicht. Die „Lebensräume“ mußten aus aus einen Projektetopf bezahlt werden; Claassen-Schmal selbst hat einen befristeten Werkvertrag.
So prangen die Bilder in ihrer wunderbaren Ausdruckskraft und Stille nun in einer Halle, von deren provisorischem Zustand man sagen muß: Es gibt nicht viele Ausstellungsräume in Bremen, die so wenig einladend sind wie dieser hier. Dabei kann man diesen Fotos eigentlich nur möglichst viele Betrachter wünschen. Hier kommt einmal ein Blick auf die Menschen in Ostdeutschland zur Geltung, der nichts hat von den spekulativen Klischees der (west-)deutschen Bildjournaille. Claassen-Schmal hat mit Erfolg versucht, „nicht in so blöden Klischees rumzutappen“ – auch, wenn man als Betrachter selbst immer wieder hereinfällt. Der alte Herr mit der dunklen Hornbrille und dem steifen Hut z.B., wie er auf einem Foto Gerhard Gäblers übers marode Ost-Berliner Pflaster stapft – nein, das ist nicht Erich in Person. Sondern nur ein Schatten jener Sofortabzüge, die wir, stets abrufbereit, in unseren Köpfen herumtragen.
Doch es sind eben keine Abziehbilder, die hier vorgeführt werden. Natürlich gibt es auch jene Trümmerfotos (Hochzeitspaar vor Mietbaracke usw.), die unser Bild vom ach so jammervollen DDR-Alltag immer noch bestimmen. Diesem Grau-in-Grau setzen die Fotografen Fotoserien entgegen, in denen die Menschen in all ihren geheimen und hundsgemeinen Lebenslüsten festgehalten sind. Die Fährfrau beim Fußballspielen, die Ruheständler beim Schoppen, die Mädchen in der Disco, wie sie gelangweilt um ihren Marlboro-Aschenbecher hocken.
„Ich bin, also ist Schönheit“ lautet der selbstbewußte Titel einer Reportage. Und da ist die Ausstellung nicht mehr nur Zeitdokument und Bild einer Gegenöffentlichkeit. Sie zeigt auch, wie dünn die Mauer zwischen den Menschen all die Jahre war. Thomas Wolff
„Lebensräume, Forografie der Leipziger Schule 1955-1993“, bis 30.4. im „Kunstforum“, Langenstraße 2; Dienstag bis Freitag 11-18 Uhr, Sonntag 11-16 Uhr
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