: Gaertners Wahl war nicht legal
■ Staatsgerichtshof erklärt Gaertner-Wahl für nicht rechtmäßig / SPD: Neuwahl am 16. März gewählt
Die Wahl von Irmgard Gaertner zur Sozialsenatorin am 25.3.1992 war nicht rechtmäßig, weil es an einer „Wahlvoraussetzung“ fehlte: Nach bremischem Recht ist wählbar nur, wer mindestens drei Monate in Bremen gelebt hat. Dies war bei Gaertner nicht der Fall, hat der bremische Staatsgerichtshof gestern verkündet. Irmgard Gaertner habe den „Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen“ nach dem, was sie selbst dem Gericht vorgetragen hatte, offensichtlich in Kassel gehabt, wo sie Direktorin des Landeswohlfahrtsverbandes war, und nicht in Bremen, wohin sie in der dreimonatigen Zwischenzeit gelegentlich kam, um sich auf ihr neues Amt vorzubereiten.
Was bedeutet das? Wenn es nach der SPD-Spitze geht: Nichts. In einer kurz nach der Verkündung der Gerichtsentscheidung einberufenen Pressekonferenz sprachen der SPD-Fraktionsvorsitzende Dittbrenner, Parteivorsitzende Tine Wischer und Bürgermeister Klaus Wedemeier der Sozialsenatorin ihr Vertrauen aus. Gaertner soll am 16.3. der Bürgerschaft erneut als Kandidatin für den Senat vorgeschlagen werden. In den 14 Tagen bis dahin, so erklärte sie trotzig, wolle sie ein Konzept zur Bekämpfung der Armut kämpfen. Doch ob sie dafür einen Pfennig Geld ausgeben darf, ließ sie offen.
Gaertner ist sich mit der gesamten SPD-Spitze darin einig, daß trotz der Entscheidung des höchsten Bremer Gerichts ihre Wahl 1992 rechtens gewesen sei. Das sei kein „Scheinwohnsitz“ gewesen, erklärte sie, den sie in Bremen angemeldet habe. Wenn jemand in Kassel seinen Job habe, den Ehemann in den neuen Bundesländern oft besuche und sich gleichzeitig intensiv auf eine Regierungsfunktion in Bremen vorbereite, sei es „aberwitzig“, einen „Lebensmittelpunkt“ definieren zu wollen. Darin unterstützten sie Wedemeier, Dittbrenner und Wischer ganz ausdrücklich.
Diese „aberwitzige“ Forderung nach einem Lebensmittelpunkt steht aber in der bremischenn Landesverfassung. Die CDU, die die SPD mit der Klage zur Einhaltung der Verfassung zwingen wollte, war aus politischen Gründen immer schon gegen diese Klausel gewesen – man braucheschließlich gute Leute, egal woher. Bisher hatte die SPD diese Sperre gegen potentielle auswärtige KandidatInnen für den Senat verteidigt. Als Vera Rüdiger als Gesundheitssenatorin nach Bremen geholt wurde, war die Frist von einem Jahr auf drei Monate verkürzt worden. Man kann davon ausgehen, daß auch die Wahl von Vera Rüdiger genauso ungültig war, weil sie erst zur Senatswahl wirklich umgezogen ist. Inzwischen stimmt auch die SPD der Abschaffung dieser Landeskinder-Klausel zu, in der neuen Verfassung wird sie nicht mehr stehen.
Auf die Entscheidungen der Senatorin und auf ihre Mitwirkung an Senatsentscheidungen hat die Tatsache, daß ihre Wahl in den Senat ungültig war, keinerlei Auswirkungen. Dies, so erklärte das Gericht, gelte für alle BeamtInnen, für Gerichte und andere Staatsorgane im Interesse der Rechtssicherheit. Wenn Gaertner in zwei Wochen wiedergewählt wird, hat das gesamte Verfahren keine Auswirkungen gehabt. In der Interims-Zeit soll Sabine Uhl die Amtsgeschäfte Gaertners übernehmen.
Gerüchte, sie sei wegen der laufenden Kürzungen im Sozialetat eigentlich von ihrem Amt enttäuscht und könnte das Gerichtsurteil zum Rückzug nutzen, wies Gaertner entschieden zurück. In den letzten Monaten sei es zwar „gelegentlich ein Kraftakt“ gewesen, morgens zur Arbeit zu gehen, das Gerichtsverfahren habe sie „sehr viel Kraft gekostet“, sie habe ihre Entscheidung, nach Bremen zu gehen, „gelegentlich doch“ bereut. Aber vier Jahre habe sie sich vorgenommen, erklärte die 64jährige. Die Unterstützung und die Vertrauensbeweise, die sie gerade jetzt von der SPD erfahre, gäben ihr die Kraft, bis zum Herbst 1995 weiterzumachen. Einen „Abschied auf dem Tablett des Staatsgerichtshofes“ wolle sie nicht.
Sichtlich genervt reagierte Gaeertner auf die Frage, ob sie denn jetzt ihre Umzungs-Beihilfe von ca. 8.000 Mark zurückzahlen werde. Wenn nur gewählt werden kann, wer in Bremen lebe, könne ein Senatsmitglied schwerlich Umzugskosten aus Kassel geltend machen, hatte CDU-Fraktionschef Kudella erklärt. Gaertner meinte dazu, diese Frage sollten die Juristen klären. Ihr gehe es in dieser Situation um die persönlichen Konsequenzen, die sie aus dem Staatsgerichtshofsurteil ziehe.
SPD-Fraktionsvorsitzender Dittbrenner versicherte, bei der Neuwahl von Gaertner werde die SPD geschlossen abstimmen. Es werde nicht wie am vergangenen Freitag die Erlaubnis für SPD-Abgeordnete geben, anders als die eigene Fraktion zu stimmen.
K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen