: Rechte Flausen, manchmal tödlich
Rechte Görlitzer Jugendliche unter Verdacht des Mordversuchs festgenommen / Siebzehnjähriger sollte, nachdem er zusammengeschlagen worden war, mit einem Auto überrollt werden ■ Aus Görlitz Detlef Krell
Am zeitigen Abend des 2. Februar, gegen 19.15 Uhr, quietschen neben einem siebzehnjährigen Passanten auf dem Lutherplatz in der Görlitzer Innenstadt plötzlich die Reifen. Fünf Männer springen aus einem Ford-Kombi, prügeln ihr Opfer in das Auto und fahren zu einem nahegelegenen Segelflugplatz. Dort zerren sie ihn heraus und schlagen mit Baseballkeulen, Fäusten und Stiefeln auf ihn ein. Dann lassen sie ihn liegen. Das schwerverletzte Opfer kann sich zu einem Wohnhaus schleppen und Hilfe rufen. Später, im Klinikum Görlitz, gibt der Jugendliche gegenüber der Polizei an, daß seine Peiniger zur Görlitzer rechten Szene gehören.
So wird die Tat am Tag darauf im Polizeireport der Lokalpresse dargestellt. Erst zwei Wochen später teilt das Landeskriminalamt Sachsen mit, daß der erste Tatverdächtige noch am gleichen Tag gefaßt werden konnte, der zweite wenig später, zwei weitere stellten sich freiwillig. Soko Rex, die sächsische Sonderkommission Rechtsextremismus, begründete das lange Schweigen mit „Ermittlungstaktik“. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung, aber auch wegen des Verdachts auf versuchten Mord.
Die Vernehmung der vier Männer hat nämlich ergeben, daß sie nach der Schlägerei überlegt hatten, das am Boden liegende Opfer gleich zu „erledigen“. Sie wollten ihn mit dem Auto überfahren, ließen dann aber das Vorhaben fallen. Genau zu wissen glaubten sie, mit wem sie es zu tun haben. Sie rechneten den Siebzehnjährigen der „linken Szene“ zu. Für das Opfer ging der Überfall zum Glück glimpflich aus, nach fünf Tagen konnte er das Krankenhaus verlassen.
Jetzt sitzen die Täter, drei Jugendliche aus Görlitz und ein Heranwachsender aus Homburg, in Untersuchungshaft. Auch der Name des fünften Tatbeteiligten ist bekannt, der Haftbefehl gegen ihn wurde außer Vollzug gesetzt. Oberstaatsanwalt Dieter Hiß mag sich zur Motivation der Täter noch nicht äußern. Bisher sei ihm „reiner Rechtsextremismus“ in Görlitz nicht begegnet. Es bestehe aber eine „gewisse Gefahr“, daß vorschnell „Schubladen“ aufgezogen werden für Jugendliche, die „unzufrieden“ oder „nicht beschäftigt“ sind und deshalb „Randale veranstalten“. Tatsächlich hat es rechtsextremistische Gewalt dieser Brutalität in der Neißestadt bisher nicht gegeben. Doch schon im Herbst vorigen Jahres befürchtete die Polizei eine „Eskalation der Gewalt zwischen rechts und links“.
An einem Wochenende hatten Glatzköpfe die Wohnung eines CDU-Stadtverordneten gestürmt, irrtümlich, wie sie angesichts des entsetzten Herrn feststellen mußten: Sie waren der Meinung, in der Wohnung sei ein „linker Treff.“ Überall in der Stadt tauchten plötzlich Aufkleber der neofaschistischen „Wiking-Jugend“ auf. Die Schülerzeitung des Gymnasiums schildert in ihrer neuesten Ausgabe, wie „stadtbekannte Rechte mit ihrem ständigen Begleiter, dem Bier“, an der Schule vorbeischlenderten und einen Schüler erst provozierten, dann zusammenschlugen. Mehrere Lehrer hätten diesen Vorfall beobachtet, ohne zu reagieren.
Als „Treff der Rechten“ bekannt ist das „Haus der Begegnung“ auf der Krenzelstraße. Den pädagogischen Titel haben sich nicht etwa die Jugendlichen selbst verordnet. Die Große Koalition im Rathaus wollte dieses „Zeichen setzen“ und zusammenführen, was gar nicht zusammenpaßt. „Keiner kann die Linken und Rechten zwingen, gemeinsam in einen Klub zu gehen“, weiß mittlerweile jedoch Sozialdezernent Gottfried Kern (SPD). Also freut man sich schon, wenn sich nicht immer, aber immer öfter auch mal ein „normaler Diskobesucher“ in den Klub traut. Attraktiv ist das Haus: neue Möbel, Fernsehgeräte, Video, Fitneßraum und andere Annehmlichkeiten sind aus dem Anti-Gewalt- Topf bezahlt worden, den die Bundesregierung nach der Hoyerswerda-Randale mit 60 Millionen Mark gefüllt hatte.
Die „gewaltbereiten Jugendlichen“, wie die Adressaten des Merkel-Programms genannt werden, nahmen das Geschenk gern an. Gäste aus Gera und der Partnerstadt Wiesbaden stellten sich ein; in Görlitz galt das Haus als rechte Festung. Bis die Stadtverwaltung genauer hinsah und feststellte, daß neben der Luxuseinrichtung auch einige Reichskriegsflaggen und ein Satz Gasdruckpistolen für Staatsknete angeschafft worden waren. An den Klubwänden feierten Aufkleber die rechte Gesinnung. Das ist nun Schnee von gestern, hofft der Sozialdezernent. Ein anderer Sozialarbeiter kümmere sich um die Jugendlichen, der Klub müsse sich als „offen für jeden“ präsentieren. Politik ist tabu. „Wir dulden keinerlei Aufkleber, nicht mal von Hänsel und Gretel.“ Und die Jugendlichen seien gar nicht so schlecht: In 200 Stunden Knochenarbeit hätten sie einen Laster mit medizinischen Hilfsgütern für Odessa verladen.
Zwischen Diskotraum und Fitneßraum werden den Jungs die rechten Flausen schon vergehen. Das hoffen nicht nur die Görlitzer Sozialarbeiter. Auf einer Tagung zum Streetwork-Projekt der Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten, Ende vergangenen Jahres in Dresden, erklärten sich die Sozialarbeiter einmütig für nicht zuständig, wenn es um politische Themen geht. „Wir müssen so gut wie möglich neutral bleiben, Politik sollen die Parteien machen“, meinten Sozialarbeiter aus Zwickau.
Und „die Parteien“ sind bereit. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gibt es in Sachsen „alle Spielarten des Rechtsradikalismus“; zumindest haben alle legalen rechtsextremistischen Parteien inzwischen ihre Landesverbände aufgebaut.
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