: Warnung vor dem Tode
■ Von der Allgegenwart der Letzten Dinge: Die Geschichte der Verkehrszeichen, neu besehen an der Bremer HfK
Warum eigentlich laufen die Menschen neuerdings mit so arg geschwollenen Köpfen herum? Mit Häuptern, groß wie Airbags? Was ist aus dem Mann mit dem Hut als solchem geworden, der gespreizten Schrittes über den Zebrastreifen eilte? Und wo ist der Mann mit dem Handkarren geblieben, jener, der allen Fahrschulprüflingen seit Generationen zugleich Freude wie auch Kopfzerbrechen bereitete, da er ausnahmslos Vorfahrt hatte noch vor den pferdestärksten Wagen?
Für immer wären sie entschwunden, ins Limbo der vergessenen Verkehrsfigürchen. Hätte nicht eine beherzte HfK-Studentin sie entdeckt. Die Grafik-Designerin Jutta Hoffmann erzählt in ihrer Abschlußarbeit die Geschichte unserer Verkehrszeichen und entdeckte dabei, wie die Entwicklung vom Hutträger zum Schwellkopf letztlich haargenau den Wandel des Menschenbildes in unserer automobilen Gesellschaft spiegelt.
„Sogar die Rehe sind schlanker geworden“, sagt Jutta Hoffmann. Gerade in den vergangenen zwei, drei Jahren hätten sich die Zeichen, und mit ihnen die vorschriftsmäßigen Warnfiguren, stark verändert: „Die Leute sind nicht mehr so fett; alles ist irgendwie light geworden.“ Ob diese gewichts- und sorglosen Leichtfüße aber die eigentlichen, nämlich mordsmäßigen Gefahren des Straßenverkehrs noch anzuzeigen vermögen – Hoffmann bezweifelt es. Wie anschaulich waren da noch die allerersten Zeichen: Metallschädel aus Gußeisen, die im London der Jahrhundertwende entlang der Kreuzungen aufgebahrt wurden; ein Gasgemisch im Innern des Totenkopfes ließ im Bedarfsfall das magische Wort „STOP“ aufleuchten. Im Angesicht dieses freundlichen Ungetüms seien die Autofahrer freilich „voller Panik einfach durchgerast“, berichtet Hoffmann. So mußten die Gestalter bald neue Formen des Warnens und Mahnens erdenken.
Mit der Schematisierung der Zeichen aber verloren die Schilder auch ihren Schrecken. „Es geht ja eigentlich immer um den Tod“, sagt sie. Noch im freundlichsten Schnauferl, im schönsten Überholverbot – da lauert insgeheim die Katastrophenahnung.
Doch jene, die uns vor dem Schlimmsten warnen: Sie sind doch selbst dem Tod geweiht. Hoffmanns Buch dokumentiert, wie auch die vermeintlich allgültigen Zeichenfiguren den Moden und Geschmäckern der Gesellschaft unterworfen sind. Der Mann mit der Schiebermütze z.B., wie er noch in den 70ern als Sinnbild des ehrlichen Bauhandwerkers auf den „Vorsicht Baustelle!“-Schildern prangte: Längst ist er seine Kappe los, sind seine Glieder zu Kolben mutiert, als Inbegriff der androgynen Trimm-Dich-Gesellschaft quasi. Und alle anderen Silhouetten-Menschlein folgten nach.
„Der Mensch wird inzwischen ähnlich behandelt wie ein Fahrzeug“, sagt Hoffmann; „alles wird in der gleichen Zeichensprache dargestellt.“ Das hat auch sein Gutes: „Daß ich als Frau immer mit einem Röckchen dargestellt werde“, empfindet die Designerin schon als antiquiert. „Ich hab' in den letzten zehn Jahren keinen Rock getragen; wenn es nach den Zeichen geht, bewege ich dauernd in Räumen, in die nicht hineingehöre“ – von der Fußgänger-Unterführung bis zum Lokus. Doch noch unterscheidet die Verkehrsführung Männlein und Weiblein. „Es ist natürlich schon komisch genug, daß man überhaupt extra darauf hinweisen muß, daß es Menschen gibt auf der Straße.“
So allgegenwärtig das System der Zeichen also ist – an vielen Stellen schaut's schon merkwürdig aus. Wo den Autos neuerdings sogar der Auspuff abgeschminkt wird und die Fußgänger im freundlichen Look mechanischer Crashtest-Dummys erscheinen – „da steckt auch 'ne komische Denke dahinter.“ Aber erst jetzt würden allmählich professionelle Designer in die Gestaltung der Zeichen einbezogen. Da bietet sich natürlich auch Hoffmann selbst an: Der zuständigen Bundesanstalt fürs Straßenwesen offerierte sie, die Dokumentation nicht nur, wie bisher geschehen, zu gestalten, sondern sie bis heute fortzuschreiben.
Denn schon naht die nächste Zeichenreform. Und mit ihr die neue, dann wohl ultraleichte Generation der potentiellen Unfallopfer. Vielleicht, fragt Hoffmann, müßte die Entwicklung sich nun doch eher umkehren: „Man sollte das Gefühl zurückholen für das, worum es wirklich geht“ – den Tod bzw. dessen Vermeidung. Und da erscheinen ihr die alten Totenschädel gar nicht mehr so verkehrt. tom
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