Sanssouci: Vorschlag
■ Ein Gleichnis – H.C. Artmann im Literaturhaus Berlin
Speckigglänzende Goldputten baumeln von der Krempe ihres roten Hutes. Auch eine Taube hat sich bei den geflügelten Miniatursäuglingen eingenistet. Unter der Kopfbedeckung hat das „süße Mädl“ aus H.C. Laertes Artmanns Einakter „Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte!“ (1963) nur einen Gedanken: Die Kleinbürgerliche „will gepimpert“ werden. Und das als Hochwohlgeborene. „Fürstin sein, das ist fein“, summt sie immer wieder vor sich her, wie ein Kleinkind, das sich brabbelnd seiner Existenz vergewissern möchte. Arthur Schnitzler hätte ihr den Namen „Mizzi“ gegeben und damit eine Mittelmaßmimin an einem absterbenden Theater benannt, die sich durch Schmuck ebenso wie durch Launen korrumpieren läßt. Bei Artmann heißt sie schlicht „Stephanie“ (Martina Walser) und ist beim Film.
Die Zeit der Reigen, bei denen Verbindlichkeiten einfach wie ein Plumpsack fallen gelassen werden konnten, ist vorbei. Mit Liebeleien ist seit einem halben Jahrhundert Schluß, da kann sich Stephanie noch soviel Duftstoffe ans Ohr und in den Schritt sprühen. Und so will das anvisierte „fesche Gespusi“, Anton Lakl (Gerhard König), der kategorisch Unbefriedigten auch nur „Füass“ machen. Ort des Schattenboxens der Geschlechter ist der Archetyp der Wiener Cafés. Bühnenregisseur Hans Jörg Bechthold hat die muffige Monade der Jahrhundertwende in das „blümierte“ Kaminzimmer des Literaturhauses transplantiert. Stilgemäß hütet die Cafetiere (Christine Heinze) mit spitz abgewinkelten Ellenbogen die Registrierkasse. Hin und wieder stochert sie in den Zähnen, balanciert das Geerntete kurz auf der Fingerspitze, um es dann lustlos zu zerkauen. Kammermusiker schrammeln dazu. Teuxl Pfui (Michael Kletter), mit rotlackierter Kralle und fellbesetztem Frack, und Engel Sauber (René Geney), eine weißgepuderte Tunte, nehmen als turtelnde Zaungäste am Rande der Ereignislosigkeit Platz und plaudern wohlwollend über Geiger, Juden und das Leben. Das könnte so weiter plätschern, würde der Regie nicht unheimlich vor der eigenen Courage zur Monotonie. So müssen sich die Spieler schließlich als tickende Zeitbomben gebärden. Hysterisch wird mit den Beinen gestrampelt und an die Decke geschrien. Die Fiedler provozieren plumb mit Dissonanzen. Und Rollstuhlfahrer Adolphus Hitler (Klaus Dallmeir) bemüht sich, die Amotorik eines Dr. Seltsams zu überbieten. Faschismus als Attitüde eines Autisten. Dialoge wirken parfümiert, wo sie schal sein wollen. Und die im Kaffeehaus Gestrandeten zerfleddern bei „Wiener Blut“ zu albernen Karikaturen. Sinnlücken werden hektisch mit Wahnsinn verputzt. Was bleibt, ist eine zerrührte Melange. Birgit Glombitza
Aufführungen bis 21.3., jeweils Sa./So./Mo. um 19 Uhr im Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23, Charlottenburg.
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