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Streik kann Flächenbrand auslösen

■ Berlins ÖTV-Chef Kurt Lange plädiert für einen Pakt zur Arbeitsplatzsicherung, um Kündigungen zu verhindern / Das Gewerkschaftsziel: Kürzere Wochenarbeitszeit und an die Westlöhne angeglichene Ostlöhne

taz: Was möchte die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) mit den Warnstreiks erreichen?

Kurt Lange: Es geht darum, die von den Arbeitgebern vorgesehenen Einkommenskürzungen und Arbeitszeitverlängerungen zu verhindern.

Außerdem wollen wir die Angleichung der Ostlöhne an die Westlöhne und einen Pakt zur Arbeitsplatzsicherung erreichen, um Kündigungen und Arbeitsplatzabbau zu verhindern.

Wie soll der Pakt aussehen?

Wir schlagen einen Rahmentarifvertag vor, der Arbeitszeitverkürzung überall dort erlaubt, wo Kündigungen oder Stellenabbau anstehen. Da gleichzeitig Arbeitsplatzgarantien vereinbart werden müssen, wird das nur mit teilweisem Lohnausgleich möglich sein. Bei ungefähr 20 Prozent weniger Arbeit soll der Lohn nur um zehn Prozent reduziert werden. Voraussetzung ist, daß die Arbeitgeber die Sicherheit der bestehenden Arbeitsplätze garantieren oder neue schaffen.

Mit der sozialen Arbeitszeitverteilung würden wir ein völlig neues Tarifgebiet betreten. Bisher haben die Politiker Arbeitsplatzgarantien immer mit dem Hinweis abgelehnt, das Parlament sei der souveräne Haushaltsgesetzgeber, der allein über das Stellenvolumen entscheidet und niemandem – auch keiner Gewerkschaft – Mitsprache erlauben könne.

Die Lohneinbuße von zehn Prozent ist für die unteren Lohngruppen des öffentlichen Dienstes wegen ihres geringen Verdienstes sehr schmerzhaft.

Wir müssen sehen, wie wir die Belastung verteilen. Das muß verhandelt werden. Ein höherer Ausgleich als zehn Prozent für die unteren Einkommensgruppen ist erstrebenswert.

Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) will mindestens 25.000 Stellen im öffentlichen Dienst Berlins streichen. Können die durch den Beschäftigungspakt erhalten werden?

Heckelmann muß erst einmal genau sagen, in welchen Berufsgruppen es zuwenig Personal und wo es zuviel gibt. Das weiß er anscheinend selbst nicht. Im Augenblick geht bei Heckelmann doch alles nach dem Motto: Da ist jemand in Rente gegangen, laßt uns die Stelle streichen.

Können Sie sich gemeinsame Streiks mit der IG Metall vorstellen, die ähnliche Forderungen vertritt wie die ÖTV?

Die Staaten, in denen es Generalstreiks gibt, sind damit ökonomisch nicht sehr weit gekommen. In der augenblicklichen Situation kann ich mir aber vorstellen, daß in einem Tarifgebiet ein Flächenbrand entsteht. Interview: Hannes Koch

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