: Eine Stadt-Union für die Lebensqualität
Schleswig-Holstein vor den Kommunalwahlen: Freie Wählergemeinschaften machen den etablierten Parteien zunehmend Konkurrenz / Auf dem Dorf dominiert die Einheitsliste ■ Aus Kiel Kersten Kampe
Kiel (taz) – Obwohl erst am 20. März Kommunalwahl in Schleswig-Holstein ist, stehen die künftigen sieben Mitglieder des Gemeinderates in Fahren, Kreis Plön, jetzt schon fest. Denn WählerInnen können ihr Kreuz nur für eine einzige Liste machen. „Die Liste ist bunt gemischt: Schwarz, Rot, Grün“, meint der Bürgermeister des 125 Einwohner zählenden Dorfes, Klaus Stubbe. Bei der Wahl vor vier Jahren habe es in fast jedem vierten schleswig-holsteinischen Dorf so eine Einheitsliste gegeben, erklärt Landeswahlleiter Ulrich Mann. Ähnlich werde die Zahl wohl auch 1994 sein. Wählergemeinschaften nicht nur als Einheitslisten, sondern auch als Alternative zu den Parteien haben auf der untersten Ebene, in den Gemeinderäten, schon lange Tradition in Schleswig-Holstein. 1990 erreichten die Kandidaten solcher Listen mehr als 5.000 der rund 12.000 Mandate und überrundeten damit auf Gemeindeebene die großen Parteien.
Ganz demokratisch sei es bei der Aufstellung der Liste zugegangen, berichtet Bürgermeister Stubbe aus Fahren. Bei der Versammlung, an der etwa die Hälfte der Dorfbewohner teilgenommen habe, sei jeder gefragt worden, ob er für den Gemeinderat kandidieren möchte. In zwei Wahlgängen wurden dann die Direktkandidaten und die Listenkandidaten aufgestellt. Klaus Stubbe, der seit 25 Jahren im Gemeinderat sitzt, weiß nicht mehr genau, seit wann es eine solche Liste gibt. „Bei uns geht es nicht ums Parteibuch, sondern ums Wohl der Gemeinde“, erklärt der Bürgermeister. „Wir sind nicht immer einer Meinung, das ist doch klar. Aber wenn Not am Mann ist, packen alle mit an.“
In den elf Kreistagen und vier Ratsversammlungen der kreisfreien Städte spielten Wählergruppen bisher allerdings kaum eine Rolle. Lediglich in zwei Kreistagen haben 1990 Wählergruppen erfolgreich kandidiert. Doch bei dieser Kommunalwahl wird sich das ändern. Für zehn der 15 Parlamente bewerben sich Wählerinitiativen neben SPD, CDU, FDP, Grünen. Schleswig-holsteinische Spezialität ist die Partei der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die in Kreis- und Gemeindeparlamenten nördlich des Nord-Ostsee-Kanals kandidiert. Die rechtsextremen Parteien sind in Schleswig-Holstein auf dem Rückzug: Lediglich für das Rathaus in Lübeck und die Kreisparlamente im Herzogtum Lauenburg sowie in Rendsburg- Eckernförde haben „Republikaner“ beziehungsweise NPD ihre Kandidaturen angemeldet.
„Die hohe Zahl der Wählergruppen auf Kreisebene ist eine wesentliche qualitative Änderung“, meint der Landeswahlleiter. Es entspräche aber auch dem allgemeinen Trend, sagt Mann. Auf den Wählerfrust über die etablierten Parteien bauen die Bürgerlisten. Die Stadt-Union-Kiel will sich zum Beispiel für mehr Lebensqualität einsetzen, und mehr Beachtung für die Bereiche Sport und Kultur fordert „SPUK“ in Lübeck. Auch Ableger der Hamburger Statt Partei wollen in zwei Stadtparlamente einziehen.
Genau beobachtet werden die neuen Wählergemeinschaften von den etablierten Parteien: „Sie sind ernst zu nehmende politische Mitbewerber“, meint CDU-Sprecher Bernd Sanders. Keine Gefahr für die SPD sieht der Landesgeschäftsführer Werner Kindsmüller: „Wählergemeinschaften sind in erster Linie ein Prozeß der Ausfaserung des bürgerlichen Lagers.“ Für die FDP sind die Wählergemeinschaften nach Angaben der Sprecherin Claudia Lenschow „starke Konkurrenz“. Schließlich seien deren Erfolge immer einhergegangen mit „einem nicht so guten Abschneiden der Liberalen.“
Bei der Kommunalwahl 1990 war die SPD mit 42,9 Prozent der Stimmen auf Kreisebene stärkste Partei geworden. Die Christdemokraten hatten 41,3 Prozent, die FDP 6,1, die Grünen 6,0 und der SSW 1,6 Prozent der Stimmen erhalten. Knapp drei Wochen vor der Wahl läuft das Werben um die Stimmen derzeit auf Sparflamme. Plakate mit Politikerköpfen oder den Slogans der Parteien sind an Lichtmasten oder Straßenbäumen in Schleswig-Holstein kaum zu finden. Materialschlachten wollen alle Parteien vermeiden. Angesichts der noch bevorstehenden Europa- und Bundestagswahl in diesem Jahr wird Sparsamkeit großgeschrieben. Auf Wahlwerbung im Fernsehen und landesweite Anzeigen in Zeitungen wollen die Parteien verzichten. In einigen Städten wie in Kiel vereinbarten die Parteien sogar, auf umfassende Plakatieraktionen zu verzichten. Der CDU-Landesverband will 60.000 Mark für den Kommunalwahlkampf ausgeben, die FDP 50.000, die SPD 150.000 und die Grünen 170.000 Mark.
Ihre Hochburgen sieht die SPD in den Städten. Mit dem Slogan „SPD – die soziale Kraft“ wird um die Wähler geworben. Die CDU werde Wähler eher im ländlichen Raum gewinnen, erklärt Sanders. Ziel sei es, nach acht Jahren wieder stärkste Partei in den Kommunen zu werden. Das Wahlkampfmotto der CDU: „Stark vor Ort“. „Mut zur Wahrheit“ heißt die Devise der FDP, und die Grünen werben mit: „Politik beginnt vor der Haustür“. Die inzwischen ein Jahr alte Schubladen-Affäre wird nach Ansicht der Parteien kaum eine Rolle spielen. Von so einem Skandal profitiere keiner, meint Sanders. „Sicherlich ist die Stimmung unserer Leute gedrückt, viele hatten Angst, daß der Kommunalwahlkampf davon verhagelt werde“, erzählt Kindsmüller. Doch inzwischen sei die Motivation der Genossen wieder gestiegen. Viele können das Wort Schublade schon nicht mehr hören. Themen wie Arbeitslosigkeit und Wirtschaft sowie regionale Probleme werden im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen.
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