„Wir fordern nur das Mögliche“

Das Massaker in der Moschee von Hebron hat auch die israelischen Araber auf die Straße gebracht, die lange Jahre geschwiegen haben  ■ Aus Jaffa Karim El-Gawhary

Ausgerechnet in die Jefetstraße in Jaffa“, murrt der israelische Taxifahrer und verzieht das Gesicht. Nur widerwillig schlägt er die gewünschte Richtung ein. Hat es da in den letzten Tagen nicht etliche Demonstrationen israelischer Araber gegeben? Richtig.

Nachdem ein jüdischer Siedler letzten Freitag über 40 Palästinenser in der Moschee von Abrahams Grab beim Gebet erschossen und rund 200 Menschen verletzt hatte, war den arabisch-palästinensischen Bewohnern der Stadt Jaffa südlich von Tel Aviv zum ersten Mal seit vielen Jahren der Kragen geplatzt. Wie die meisten ihrer Landsleute in den arabischen Städten und Dörfern Israels waren auch sie auf die Straße gegangen. Einige verliehen ihrem Zorn sogar mit Steinwürfen Ausdruck. Ein paar kaputte Fensterscheiben und Autos und eine Serie spektakulärer Fernsehbilder waren die Folge.

Unter israelischen Juden geht neuerdings die Angst vor einer zweiten Intifada-Front um. Diesmal nicht in den „Gebieten“, wie sie den Gaza-Streifen und die Westbank nennen, sondern direkt vor der eigenen Haustür. Die Palästinenser, die mit ihnen innerhalb der Grenzen Israels von 1948, in Städten wie Jaffa oder Haifa und in vielen arabischen Dörfern, leben, proben womöglich bald den Aufstand von innen, fürchten viele jüdische Israelis. Auch der Taxifahrer ist in leichter Panik. Daß sein Fahrgast zu einer Kundgebung will, macht die Sache nicht besser. Sicherheitshalber funkt er die Taxizentrale an. „Die Luft ist rein“, beruhigt ihn eine knisternde Stimme, und der Fahrer atmet erleichtert auf.

Die Kundgebung erinnert mehr an Aktionen der deutschen Friedensbewegung in den frühen 80ern. Das zerstreut die letzten Ängste des Fahrers. „Schluß mit dem Blutvergießen!“ lautete der Spruch am Infostand in hebräisch und arabisch. Von einer zweiten militanten Intifada-Front im Herzen Israels keine Spur. Eine Gruppe friedensbewegter AktivistInnen sammelt Unterschriften. Ihre Aktion demonstriert vor allem, in welcher Misere sich die innerisraelische Opposition gegen die Besatzungspolitik befindet. „Die Gewalt muß jetzt endlich eingestellt werden“, lautet ihre Forderung. Auf mehr konnten sich die verschiedenen Splittergruppen offenbar nicht einigen. „Wir gedenken der Toten von Hebron“, heißt es auf der schwarzen Papptafel. Davor flackern einige Kerzen in der mediterranen Abenddämmerung von Jaffa. Stolz verweisen Teilnehmer den Besucher auf die gemischt jüdisch-arabische Gruppe und entschuldigen sich dann gleich, die Araber seien gerade beim Fastenbrechen. Die kämen aber später wieder. Schließlich sei Ramadan.

Während sich die Palästinenser in der Westbank und im Gaza- Streifen seit mehreren Jahren mit der Intifada, ihrem Aufstand gegen die israelischen Besatzer auflehnen, ist es bei den Palästinensern im israelischen Kernland ruhig geblieben. Als Araber mit israelischem Paß und Knesset- Wahlrecht haben sie einen problematischen Sonderstatus. Weder sind sie einfach Palästinenser noch einfach Israelis, sondern beides zugleich. Manche nennen sich israelische Araber, andere arabische Israelis, wieder andere ziehen es vor, sich als Palästinenser in Israel zu definieren. Die Probleme im nahen Gaza oder in Ramallah sind nicht die ihren. In Jaffa kreuzen keine israelischen Militärjeeps, auf den Dächern stehen keine Soldaten mit Gewehren im Anschlag. Manche der Soldaten, die in den besetzten Gebieten eingesetzt werden, leben womöglich mit israelischen Arabern in Jaffa oder Haifa im selben Haus. Die über 700.000 Palästinenser im Kernland sind Teil der israelischen Gesellschaft, wenn auch nicht gleichberechtigt.

Jussuf Asfur ist Mitglied der Re'ut/Sadaka-Gruppe, zu deutsch „Freundschaft“, einer der gemischt jüdisch-arabischen Aktionsgruppen, die Unterschriften gegen die Gewalt sammelt. Ihr Motto: „Den Unterschied respektieren, das Gemeinsame aufbauen.“ Ihr Büro liegt praktischerweise gleich gegenüber dem Infostand. Asfur ist Palästinenser und israelischer Staatsbürger und studiert Geschichte. Er wurde in Jaffa geboren und bemüht sich, das Lied von der friedlichen Koexistenz zu singen. „Wir sind gegen Gewalt, auch gegen die gewalttätige Demonstration vom Wochenende in Jaffa“, betont er. „Wenn sich nur alle zusammensetzen und wirklich Frieden wollen, dann klappt das auch.“ Für die Emotionen seiner Landsleute nach dem Massaker in Hebron entschuldigt er sich fast. Das müsse man verstehen.

Ein paar hundert Meter weiter sitzt eine Gruppe arabischer Jugendlicher aus Jaffa in einem Straßencafé. Sie brüsten sich mit ihren Taten vom Wochenende, reden von Action und meinen, der Zoff habe erst nach dem brutalen Eingreifen der Polizei so richtig begonnen. Es sei das „islamische Projekt“, vor dem sich Arafat so fürchte. Was das bedeutet, können sie allerdings nicht erklären. Die Verwirrung wird komplett, als sie anfangen, wortreich für ein friedliches jüdisch-arabisches Zusammenleben in Jaffa zu plädieren.

Ein Flugblatt, unterzeichnet von „Vertretern der Araber in Jaffa“, äußert sich konkreter. Die Entwaffnung der Siedler wird gefordert. Eine Untersuchungskommission solle die Verstrickung der Armee in die ganze Angelegenheit untersuchen. Drei Tage Trauer mit schwarzen Fahnen vor den Häusern werden ausgerufen. Alle Ankündigungen für das kleine Beiramfest am Ende des Fastenmonats Ramadan sollen annulliert, Spenden für die Opfer gesammelt, und eine Trauerdelegation soll nach Hebron geschickt werden.

Im Nadi Al Islami, dem islamischen Club, spielt man normalerweise Tischtennis oder Fußball, guckt zusammen Fernsehen und trinkt viel Kaffee. Heute sitzt ein Dutzend Männer um den großen Versammlungstisch und debattiert die weiteren Schritte „nach Hebron“ und nach den Demonstrationen. Ein Rechtsanwalt informiert über die Lage der am Wochenende festgenommenen 80 Palästinenser aus Jaffa, überwiegend Jugendliche. Nachdem die Polizei die Auseinandersetzungen vom Samstag auf Zelluloid gebannt hatte, griff sie noch in der gleichen Nacht in den Häusern der videotechnisch überführten Jugendlichen zu. Inzwischen seien nur mehr zwölf in Haft, sagt der Anwalt, sie sollten noch in dieser Nacht entlassen werden. So habe es zumindest auch der israelische Polizeiminister Schahal angekündigt. Aufmerksam gehen die Männer die Fälle durch. Es geht um ihre Kinder oder die Kinder ihrer Nachbarn. Zweiter Tagesordnungspunkt: Spenden für die Opfer in Hebron. Soll freitags in der Moschee gesammelt werden, oder soll man von Tür zu Tür gehen und so Muslime, Juden und Christen gleichermaßen erreichen?

Der Elektriker und Sprecher des islamischen Clubs, Jussuf Rihan, faßt die Meinung der Clubmitglieder zusammen. Man könne nicht alle Israelis einschließlich „unserer Nachbarn“ für das Massaker verantwortlich machen. Einige von ihnen hätten sogar an der Protestdemonstration teilgenommen. Eine Intifada sei hier abwegig und sinnlos. „Wir können die Palästinenser in den besetzten Gebieten nur über Geldspenden oder durch unser Wahlrecht unterstützen. Die wichtigste Forderung der Araber in Jaffa laute: Die Siedler müssen entwaffnet werden. Man solle den Palästinensern in den besetzten Gebieten endlich ihren Staat in den Grenzen von 1967 gewähren. „Gaza und Jericho könnten ein Anfang sein. Damit würde man auch uns, den Palästinensern im israelischen Kernland, eine schwere Last von den Schultern nehmen“, erklärt er. Ein palästinensisch-jüdischer Staat in Israel und den besetzten Gebieten, also auch auf dem Gebiet von Jaffa, ist für ihn eine Forderung, die „irgenwo in der palästinensischen Geschichte der letzten zehn Jahre vergraben liegt. Wir fordern heute nur das Mögliche und Vernünftige“, sagt er. Der Gedanke an einen möglichen Palästinenserstaat in den besetzten Gebieten bringt ihn ins Schwärmen. Er träumt von der ökonomischen Brückenfunktion der Palästinenser im Inneren. „Wir wären in einer hervorragenden Position, die Geschäfte mit unseren Verwandten in den besetzten Gebieten abzuwickeln. So etwas ließe sich sogar auf die anderen arabischen Ländern ausweiten, wenn diese dann Frieden mit Israel schließen würden. Man spricht schließlich die gleiche Sprache.“

Es ist nicht eine Besatzungsarmee, eine Militärgesetzgebung oder der tägliche Ausnahmezustand, der den Palästinensern in Israel zu schaffen macht. Die Probleme der 12.000 Palästinenser, die im heutigen Jaffa eine kleine Minderheit sind, liegen woanders. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Tagaus, tagein erfahren sie diese Diskriminierung am Arbeitsplatz oder in der Ausbildung. „Wir innerhalb Israels brauchen keinen eigenen Staat, sondern eine Bürgerrechtsbewegung nach amerikanischem Muster, die die Diskriminierung gegen Schwarz oder Arabisch bekämpft“, erklärt Rahin.

Daß die Seelen der Araber in Jaffa am Wochenende überkochten, hat mehrere Gründe, die weit über das Hebron-Massaker hinausreichen. Einer davon ist das Ajami-Renovierungsprojekt. Die alten Häuser Jaffas mit ihrem orientalischen Charme sind beliebte Spekulationsobjekte. Bis nach Tel Aviv sind es ganze 15 Autominuten – kurz genug, um mit seinem schicken Auto vom Wohnort mit Meeresblick zum Arbeitsplatz zu pendeln. – Die Idee der israelischen Stadtverwaltung war einfach. Viele der Häuser verfallen langsam, da die arabischen Einwohner die Renovierung nicht bezahlen können. Also werden woanders notdürftige Ersatzwohnungen für die Araber besorgt. Wohlhabende jüdische Familien, die sich die Renovierung leisten können, ziehen statt ihrer ein. Damit schlägt die Stadtverwaltung seit mehreren Jahren zwei Fliegen mit einer Klappe. Es müssen keine Subventionen für die Erneuerung des Viertels ausgegeben werden, und die Altstadt Jaffas wird langsam, aber sicher völlig entarabisiert.

Es ist spät abends. Während die Palästinenser im Gaza-Streifen aufgrund der nächtlichen Ausgangssperre bereits in ihren Häusern eingesperrt sind, herrscht in den Straßen Jaffas noch reges Treiben. Selbst die jüdisch-arabische Mahnwache in der Jefetstraße ist noch besetzt. Ein Grüppchen von Leuten hockt fröstelnd um die schwarzen Pappschilder. Manche der israelischen Autofahrer treten sicherheitshalber aufs Gaspedal. Man kann nie wissen. Gab es hier nicht am Wochenende gewalttätige Auseinandersetzungen? Ein typisches Denken in einer unsicheren Gesellschaft, in der alles auf Sicherheit ausgerichtet ist.