: In Villenvierteln brennt es seltener
■ Die Polizei sucht in Kreuzberg nach Brandstifter, dem bislang insgesamt fünf Menschen zum Opfer fielen / Im letzten Jahr fünftausend Brandstiftungen / Über die Hälfte werden von Serientätern verübt
Vier Brandstiftungen innerhalb eines Jahres – diese dramatische Bilanz ziehen die Bewohner des Hauses Urbanstraße 35. Wer den schweren Brand, bei dem Mittwoch nacht ein Familienvater und seine beiden Kinder ums Leben kamen, gelegt hat und welche Motive der Täter hatte, ist vollkommen unklar. Die Kriminalpolizei konnte lediglich Spuren einer brennbaren Flüssigkeit im Treppenhaus vor der Wohnungstür des Mannes und seiner Familie nachweisen.
Der 35 Jahre alte Mann hatte sich mit seinem fünf Jahre alten Sohn vor den Flammen retten wollen und war aus dem zweiten Stock in den Hof gesprungen, kurz bevor die Feuerwehr eintraf. Beide starben. Die 30 Jahre alte Mutter stand um Hilfe rufend am Fenster, bis die Feuerwehr sie über eine Drehleiter ins Freie rettete. Aus der brennenden Wohnung konnte die Feuerwehr die dreijährige Tochter nur noch tot bergen.
Keiner der letzten vier Brände in der Urbanstraße konnte bisher aufgeklärt werden. Im Januar, im April und im Oktober 1993 wurden ein Kinderwagen, der Dachboden und eine Wohnungstür angezündet. Unaufgeklärt ist bislang auch ein Brand in der benachbarten Blücherstraße. Dort wurde im August letzten Jahres ein Brand im Keller eines Wohnhauses gelegt. Eine 29 Jahre alte Frau und ihr zwei Jahre alter Sohn kamen bei dem Brand ums Leben. Spekulationen, es habe sich dabei um einen rassistischen Anschlag gehandelt, weil über dem Keller ein kurdisches Restaurant liegt, konnte die Polizei nicht bestätigen.
Ob ein Zusammenhang zwischen den fünf Straftaten besteht, kann die Kripo derzeit ebenfalls nicht sagen. „Sicherlich häufen sich in der Urbanstraße und Umgebung die Brandstiftungen“, sagte Werner Breitfeld vom Branddezernat der Kriminalpolizei der taz. Diese Tatsache sei jedoch nicht besonders spektakulär, da es auch in anderen Bezirken Berlins Häuser gebe, die schon mehrere Male Ziele von Brandanschlägen waren.
Brandserien gebe es gegenwärtig nicht nur in Kreuzberg, sondern beispielsweise auch in Prenzlauer Berg, in Friedrichshain und in Mitte. „Das hat etwas mit dem sozialen Umfeld zu tun. Im Villenviertel Langwitz kommt es deshalb viel seltener zu Brandstiftungen“, sagt ein Sprecher des Branddezernates.
Die Kripo kennt aus ihren Ermittlungen zu früheren Bränden die Namen von etwa 800 Serienbrandstiftern. Da aber nur 20 Prozent aller Brandstiftungen aufgeklärt werden, liegt die tatsächliche Zahl viel höher. „Wir schätzen sie auf das Zwei- bis Dreifache“, sagt Breitfeld. Ob hinter den Bränden in der Gegend um die Urbanstraße ein Serienbrandstifter oder ein Einzeltäter steht, ist noch vollkommen unklar.
Wie lebt der typische Brandstifter, und welches ist sein soziales Umfeld? Die Täter sind nach Erkenntnissen der Kriminalpolizei meist alleinstehend und arbeitslos. Viele sind Alkoholiker. Sie legen das Feuer, um ihre Aggressionen und ihren Frust loszuwerden. Viele sind psychisch schwer krank. „Brandstiftung zählen wir zur Primitivkriminalität. Die Täter haben es nicht auf irgendein Objekt abgesehen, sondern sie zünden an, was ihnen gerade in die Quere kommt, sei es eine Fußmatte oder eine Mülltonne“, sagt Breitfeld. Im letzten Jahr hat es etwa fünftausend Brandstiftungen gegeben; die Polizei geht davon aus, daß zwischen fünfzig und sechzig Prozent von Serientätern verübt werden. Nach Angaben des Branddezernats ist die Zahl der Brandstiftungen in den letzten Jahren allerdings leicht gesunken.
Im Umfeld des Hauses Urbanstraße 35 konnte die Kripo trotz Befragung aller Hausbewohner bisher kein Motiv für die Brandstiftung, wie etwa ein persönlicher Racheakt, finden. Ein Mitarbeiter des Branddezernats: „Im Moment haben wir den Eindruck, daß die Tat ohne Hintergedanken verübt wurde und vollkommen sinnlos war.“ Annabel Wahba
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen