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Mit LKW in die Klinik

■ Pharmakonzern behauptet, Verträge über die Abnahme von Hirnhäuten

Das im Zusammenhang mit dem Handel von Leichenteilen in die Schlagzeilen geratene Pharmaunternehmen Braun/Melsungen geht in die Offensive. In einer gestern abgegebenen Erklärung behauptet der hessische Konzern (Jahresumsatz 2,5 Milliarden Mark), daß es mit allen 91 Krankenhäusern und rechtsmedizinischen Instituten, von denen Hirnhäute bezogen werden, Verträge gibt – auch mit dem Berliner Klinikum Charlottenburg, dem St. Gertrauden- und dem Behringkrankenhaus. Von Pathologie-Leitern oder deren Mitarbeiter seien „unsere Vorschriften für die Abgabe, Aufbewahrung und Dokumentation“ der Hirnhaut entweder unterzeichnet oder zur Kenntnis genommen worden.

Nach Informationen der taz hat Braun/Melsungen in Berlin die Spedition Ullrich in Lichtenberg mit dem Transport der Leichenteile beauftragt. In der Regel sollen die Pathologie-Mitarbeiter der drei Kliniken die Hirnhäute zum Umschlagplatz der Spedition gebracht haben. In Einzelfällen sollen Pathologien die LKWs auch telefonisch bestellt haben. Marketingleiter Gerhard Meil bestätigte die Informationen zum Teil.

„Es kann mir keiner erzählen, daß niemand etwas davon mitbekommen hat“, sagte Mail darüber hinaus. In der Erklärung des Hauses heißt es, daß auf Grund „der zur Verfügung gestellten Menge“ die Abgabe von Hirnhäuten den Verantwortlichen nicht verborgen geblieben sein könne.

„Irritiert“ zeigte sich der ärztliche Leiter des Klinikums Charlottenburg. Er ging bislang davon aus, daß in seinem Haus ein Sektionsangestellter außerhalb des Krankenhauses Leichenteile veräußert habe. Ihm sei nicht bekannt, daß seine Pathologie an die Spedition geliefert habe oder Lastwagen zur Abholung bestellt wurden. Wenn es zwischen seiner Klinik und Braun/Melsungen Verträge gibt, seien diese 20 Jahre alt und seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr gültig. Seitdem seien Lieferungen untersagt. Vom St. Gertrauden- und dem Behringkrankenhaus war keine Stellungnahme zu erhalten.

Gestern trafen sich die Chefs aller 16 städtischen Krankenhäuser, der drei Uni-Klinika und des Bundeswehrkrankenhauses mit dem Staatssekretär der Gesundheitsverwaltung, Detlef Orwat. Alle 20 Einrichtungen sollen noch einmal prüfen, ob es von ihnen tatsächlich keine offiziellen Lieferungen an Braun/Melsungen gegeben hat. Wenn von den Leitern keine Bedenken kommen, will Orwat in der kommenden Woche Strafanzeige gegen die Pharmafirma wegen übler Nachrede stellen. Das Unternehmen dürfe nicht Kliniken als Lieferanten angeben, wenn es tatsächlich Hirnhäute von privat bezogen habe. Dirk Wildt

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