„Der Todesstoß für den Optimismus“

Das Massaker von Hebron hat sich tief in die Psyche der Palästinenser im Gaza-Streifen eingegraben / Nach Tagen der Lähmung beginnen die Gegner des Friedensabkommens zu mobilisieren  ■ Aus Khan Junis Karim El-Gawhary

„Wir verurteilen das Hebron- Massaker aufs schärfste“ – hunderte Male haben die Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten diesen Satz nun schon gehört oder gelesen. „Die Firma X verurteilt aufs schärfste...“ Die arabischen Zeitungen in Israel sind voll solcher Anzeigen. „Wenn wir uns von all den Verurteilungen etwas kaufen könnten, dann wären wir reiche Leute“, sagt ein in Gaza lebender palästinensischer Journalist sarkastisch.

Der Ärger über das Hebron- Massaker wird vom Frust erdrückt. „Seit der Unterzeichnung des Gaza-Jericho-Abkommens in Oslo leben wir in einem Wechselbad von Optimismus und Pessimismus. Das war jetzt der Todesstoß für den Optimismus“, beschreibt ein führendes Mitglied der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), einer linken Organisation innerhalb der PLO, die Stimmung in den Flüchtlingslagern im Gaza-Streifen. Eigentlich, so meinen diejenigen, die noch an Verhandlungen glauben, müsse jetzt das Abkommen neu verhandelt werden. Mit der Entwaffnung einiger Siedler sei es nicht getan. Aber solange die israelische Regierung nichts anbietet, wissen auch sie nicht, was sie ihren Leuten sagen könnten.

Kamal Zaarub, Chef des Fatah- Büros in Khan Junis im südlichen Gaza-Streifen, hält sich zurück. Er sitzt zwischen den Stühlen. Während Arafat in Tunis Mäßigung einklagt, fordern die Leute vor Ort, die Situation jetzt zu eskalieren. Zaarub selbst wurde im Januar nach sechs Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen. Insgesamt saß er 14 Jahre seines Lebens hinter Gittern. „Ich war mehr im Gefängnis als bei meiner Frau und meinen Kindern.“ Es beeindruckt ihn überhaupt nicht, wenn Israel jetzt einige hundert palästinensische Gefangene freiläßt. „Das ist alles ein großes Spiel. Damit wollen sie den Deckel auf die Wut der Leute nach Hebron setzen“, erklärt er. „In dieser Trauerzeit wird es keine Freudenfeiern über die Rückkehr der Gefangenen geben“, fügt er bitter hinzu.

Die Mitarbeiterin des Büros in Khan Junis hat sichtlich Mühe, die eigenen jugendlichen Anhänger zurückzuhalten. Die patrouillieren inzwischen auf den Hauptstraßen des Lagers auf und ab und grüßen selbstbewußt mit ihren Maschinenpistolen auf dem Schoß. Im nördlichen Gaza-Streifen hatte die israelische Armee nach dem Blutbad in Hebron eine Ausgangssperre verhängt – in Khan Junis ließ sie sich bisher nicht blicken. „Sie wissen, wenn sie nur mit einem Jeep hier hereinfahren, wird es Mord und Totschlag geben“, sagen die Einwohner von Khan Junis nicht ohne Stolz.

Die Abkommensgegner, die in den ersten Tagen nach Hebron gelähmt zu sein schienen, beginnen langsam zu mobilisieren. Die islamistische Hamas-Bewegung etwa organisierte in Khan Junis eine Trauerfeier für Abdel Rahman Al- Hamdan, einen ihrer Märtyrer. Er wurde einen Tag vor dem Massaker in Hebron von der israelischen Armee erschossen. Acht Israelis soll der 23jährige auf dem Gewissen gehabt haben. Der Platz um das Haus seiner Familie ist überfüllt. Über tausend Leute sind gekommen, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Sie sitzen im Trauerzelt, auf den Mauern und Dächern. Eine Demonstration der Macht von Hamas. Fotos des Toten mit Kalaschnikow dekorieren die Wände. „Nur mit Gewehren und Blut kann Geschichte gemacht werden“, sagt der Redner mit sich überschlagender Stimme. Die Menge, meist Jugendliche und Kinder, hört aufmerksam zu. Der weißbärtige Scheich Ahmad Al-Nimr, der Imam der Rahma-Moschee in Khan Junis und einer der 400 Männer, die letztes Jahr in den Südlibanon deportiert wurden, hält eine Predigt. Das aufopferungsvolle Leben des Märtyrers solle Vorbild für alle sein, sagt er.

Plötzlich tauchen mehrere bewaffnete Mitglieder der Kataib auf, des militanten Flügels von Hamas. Mehrere Magazine werden unter lautem Getöse in die Luft leergeschossen. Die Menge der Flüchtlinge und Habenichtse in ihren billigen Trainingsanzügen, ihren verwaschenen T-Shirts und ihren zerschlissenen Sandalen salutiert ihren Volkshelden. „Grüße an die Kataib“, singen sie. „Wer sind die“, fragt ein Vater seine barfüßige Tochter. „Die Kataib“, antwortet sie wie aus dem Gewehr geschossen. Man kennt in diesem Lager von kleinauf seine vermeintlichen Erlöser. Diese haben sich in der Deckung der Menge mittlerweile wieder in Luft aufgelöst. „Wir werden das Militär zurückdrängen mit Männern, die genausoviel Mut haben wie unser Märtyrer Abdel Rahman“, fährt ein weiterer Redner fort.

Der Muezzin ruft zum Gebet. Es dämmert. Zeit, das Ramadan- Fasten zu brechen. „Setzt euch jeweils zu je fünf Leuten zusammen“, fordert jemand über Mikrofon auf. Hamas zeigt ihr logistisches Geschick. In einer Menschenkette werden aus den umliegenden Häusern Tabletts mit Hammelfleisch und Reis für über tausend Leute herangeschafft. Der Platz im Trauerzelt ist zu klein. Man hat sich auch im Vorhof des kleinen Schlachthofes von Khan Junis breit gemacht. Eine unbeabsichtigte Symbolik. Das Abschlachten der Palästinenser beim Freitagsgebet in Hebron hat sich tief und unwiderruflich in die palästinensische Psyche eingegraben. Die Erlöser der Kataib und die Soldaten der israelischen Armee, die irgendwann wieder versuchen werden, die Straßen von Khan Junis zu kontrollieren: Vorboten der Gewalt, die noch kommen wird.