: Kunst soll auch auf Züge
■ Ausstellung "Spray-City" als Zeichen gegen Kriminalisierung der Sprayer / Geschichte der Berliner Szene als Buch
„Die bildende Kunst mit ihrem Minimalismus ist am Ende“, tönt es selbstbewußt von der Bühne. „Die Kunst, die lebt, ist jung und kommt von der Straße.“ Als am Samstag abend in der Galerie am Pariser Platz die Graffiti-Ausstellung „Spray-City“ eröffnet wurde, ging ein Hauch von Kreuzberg durch das altehrwürdige Gebäude der Akademie der Künste direkt neben dem Brandenburger Tor. Dröhnender HipHop, coole Kids und jede Menge Graffiti. „Diese Ausstellung“, sagte der Moderator zur Eröffnung, „ist auch ein Zeichen gegen die Krminialisierung der Writer durch Polizei und BVG.“ Kunst gehöre nun einmal nicht nur in Galerien, sondern „auch auf Züge“. Mehrere hundert Jugendliche waren gekommen, um sich als Masters of Ceremony im HipHop-Freestyle zu beweisen, tanzenden Rappern zuzusehen und die etwa 50 Kunstwerke aus der Dose zu bewundern. Mehrfach machte das Wort von der multikulturellen Realität die Runde.
„In der Eigentumsgesellschaft, in der wir jetzt leben, zählen Geld und Sachwerte mehr als die Menschen. So ist es nicht verwunderlich, wenn Neonazis, die prügeln und morden, geringe oder gar keine Strafen bekommen, Graffiti- Writer aber wie Terroristen gejagt werden.“ Die Ostberliner Writer- Crew „THC“ (The hopeless cases) hat kurz nach der Wende angefangen zu sprühen: mit Dosen made in CSSR. Damals, sagen sie, hätten sie sich noch an New Yorker oder Westberliner Graffiti-Künstlern orientiert, heute hätten sie ihren eigenen Stil. Das gilt auch für den Umgang mit den West-Writern: Ein friedliches Zusammenwachsen ohne Vorurteile fordern sie und auch, daß sich die Szene weniger an „Abziehern“ oder „Gangbangern“ orientiere.
Die Geschichte der Graffiti- Kunst ist jung in Berlin. Sie ist nun erstmals in einem Buch nachzulesen, das im Zusammenhang mit der Ausstellung „Spray-City“ entstanden ist. Das erste Piece in Berlin, so erzählt das Buch die Legende, soll von RAY im Jahre 1982 in der Nähe des S-Bahnhofs Sundgauer Straße gesprüht worden sein. Aber erst sieben Jahre später wurde die Graffiti-Kunst als Bewegung in den Medien wahrgenommen. Im gleichen Jahr verschwand die Mauer, bis dahin die größte Freifläche für die „Aerosol-Art“. Ihre Vermarktung war unter anderem den bunten Bildern zu verdanken, die heute allzuoft als Schmierereien und Vandalismus bezeichnet werden. – „Allgemein kann man sagen“, schreibt die Westberliner Crew „BISAZ“, daß Graffiti- Writer „noch härtere Bedingungen haben als Bankräuber und Autodiebe“.
Im Wettkampf zwischen der SoKo des Bundesgrenzschutzes und den Writer-Crews werden Helden geboren und ganz normale Niederlagen erlitten. Auch bei den Eltern der Sprayer. Eine Mutter berichtet: „Es ist schon vorgekommen, daß zwei Mannschaftswagen der Polizei bei einer Aktion an einer legalen Wand angerückt sind, die Sprüher auf den Boden geschmissen und ihnen die Waffe vors Gesicht gehalten haben.“ Legale Graffiti, für die sich zum Beispiel die „Berlin Graffiti Association“ einsetzt, sind bei den geschätzten 10.000 Writern der Stadt freilich nicht unumstritten. „Wenn wir in die Legalität gingen, würde der Schwung rausgenommen“, meint THC. „Über Kunst kann man geteilter Meinung sein“, macht die BVG gegen Graffiti Stimmung. Die Writer und ihr neuer Bundesgenosse Akademie der Künste haben den Wettstreit um den guten Geschmack nun aufgenommen. Uwe Rada
„Spray-City-Graffiti in Berlin“, Edition Monade, 29,80 Mark
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