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Flammenwand auf dem Monitor

Gravierender Störfall in der Wiederanlaufphase des AKWs Biblis A in Südhessen / Neue Runde im Zweikampf Fischer gegen Töpfer / RWE will schnell wieder ans Netz  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) – Die Flammenfront auf dem Monitor brachte die Bedienungsmannschaft des AKWs Bibils A endlich auf Trab: Feueralarm der Stufe II um 17.02 Uhr am vergangenen Freitag. 69 Feuerwehrmänner aus Biblis und etwa ein Dutzend Mitglieder der Werksfeuerwehr rücken an, um den Brand im inneren Sperrbereich des Atommeilers zu löschen. Doch der Versuch der maximal 24 Feuerwehrleute, die – laut Vorschrift – in diesen inneren Sperrbereich vordringen dürfen, um das Feuer manuell zu löschen, bringt nicht den gewünschten Erfolg. Diese Art der Brandbekämpfung wird abgebrochen.

Die Bedienungsmannschaft schaltet die Sprühflutanlage ein. Nach knapp einer Viertelstunde ist das Feuer gelöscht. Rund 10 Kubikmeter Wasser waren auf den brennenden Motor der Hauptkühlmittelpumpe des Primärkreislaufsystems niedergegangen. „Wir haben den unfreiwilligen Sicherheitstest“ bestanden, kommentierte danach der Stellvertretende Werksleiter Gerd von Weihe das seiner Auffassung nach „nicht einmal meldepflichtige Ereignis“ in dem – nach der normalen Revision – in der Wiederanlaufphase befindlichen Block A.

Das sieht der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Bündnis90/Die Grünen) völlig anders: Der Brand innerhalb der Sicherheitszone I, also in der Stahlhülle, sei ein weiterer Beleg dafür, daß der Altmeiler im hessischen Ried enorme „Sicherheitsdefizite“ aufweise, so der Minister am Sonnabend auf einer rasch einberufenen Pressekonferenz. Tatsächlich wurde die Bedienungsmannschaft von Biblis A schon um 16.04 Uhr – eine Stunde vor der „Flammenwand auf dem Überwachungsmonitor“ (Fischer) – vom elektronischen Überwachungssystem auf einen Fehler in der Normalnetzversorgung aufmerksam gemacht. Selbst als nach einer halben Stunde die „Feuermeldeschleife der Linie 17“ anspricht, entdecken die Kontrolleure vor Ort „keine Auffälligkeiten“. So kokelt der Hauptkühlmittelpumpenmotor weiter vor sich hin – bis zum zweiten Kurzschluß mehr als eine dreiviertel Stunde nach der ersten Schadensmeldung. Erst als der Motor gegen 17 Uhr in hellen Flammen steht, wird Feueralarm der Stufe II ausgelöst. Fischers Folgerung: „Wäre das Feuer im sogenannten Rangierverteilerraum des AKWs ausgebrochen, hätte es zu einer Katastrophe kommen können.“ Der in Brand geratene Hauptkühlmittelpumpenmotor war übrigens während der Revision von den „Experten“ des RWE inspiziert worden.

Weil auch im Herzen des Atomreaktors im Rangierverteilerraum „Brandschutzdefizite“ zu konstatieren seien und die gesamte atomare Anlage noch immer nicht gegen Erdbeben und Flugzeugabstürze hinreichend gesichert wurde, hatte Fischer bereits am vergangenen Mittwoch die vorübergehende Stillegung von Biblis A angekündigt. Doch Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) war dem Bündnisgrünen in die Parade gefahren: Obgleich die Betreiberin RWE fast keine der von Joschka Fischers Amtsvorgänger Karlheinz Weimar (CDU) vor drei Jahren erlassenen 49 Sicherheitsauflagen erfüllte, wies Töpfer seinen hessischen Kollegen an, Biblis A am heutigen Montag, nach der normalen Revision, wieder ans Netz gehen zu lassen. Am Sonnabend wertete Fischer den Brand vom Freitag als Zäsur: Klaus Töpfer, so sein Appell, müsse jetzt seinen Widerstand gegen die von der hessischen Landesregierung gewollte Stillegung von Biblis A aufgeben, denn schließlich trage Töpfer seit der bundeshoheitlichen Weisung die Verantwortung für die Sicherheit der Menschen in Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Fischer: „Die Gewinne des RWE dürfen keinen Vorrang vor der Sicherheit der Menschen haben.“

Noch hält sich Töpfer, der von Fischer aufgefordert wurde, schon heute seine atomrechtliche Weisung zurückzuziehen, bedeckt. Und RWE fährt weiter die harte Linie: Erst nach Intervention der hessischen Atomaufsichtsbehörde durfte der von Joschka Fischer einbestellte Atomexperte Lothar Hahn vom Öko-Institut am Freitag nach dem Brandereignis das Werksgelände betreten. Und RWE ist fest entschlossen, den Altmeiler nach Abschluß der Untersuchungen der Brandursachen wieder ans Netz gehen zu lassen.

Vor der hessischen Staatskanzlei demonstrierten am Sonnabend knapp 200 AKW-GegnerInnen gegen die beabsichtigte Wiederinbetriebnahme von Biblis A. Sie forderten die rot-grüne Landesregierug auf, sofort energisch zu handeln – „statt streng nach Recht und Gesetz eine Reaktorkatastrophe in Biblis abzuwarten“.

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