: Im Clinch ums Interpretationsmonopol
Ostdeutsche KZ-Gedenkstätten stehen vor einer doppelten Zerreißprobe: Zum einen sollen sie von der DDR-Legitimations- ideologie befreit werden, zum anderen um eine Darstellung ihrer unrühmlichen Nachkriegsgeschichte ergänzt werden.
Im Museum des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen in Brandenburg drücken heute Bonner Politiker die Schulbank. Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen werden kommen, um sich von 13 Experten über die Frage „Beteiligung des Bundes an Mahn- und Gedenkstätten“ informieren zu lassen. Unter den Gästen: Vertreter von 65 verschiedenen Häftlingsorganisationen.
Für die Leiter der Gedenkstätten steht heute viel auf dem Spiel. Denn es geht um die Frage, welche Mahnorte in Deutschland aus der Kulturhoheit der Länder herausgelöst und wegen ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung vom Bund finanziert werden könnten. In Westdeutschland ist dies bisher ausschließlich Ländersache, in Ostdeutschland werden zur Zeit die ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen noch zur einen Hälfte von den Ländern, zur anderen vom Bund getragen. Aber weder der Förderungszeitraum noch die Höhe ist verbindlich festgeschrieben. Der Jahrestat 1994 für die brandenburgischen Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen beträgt neun Millionen Mark, für Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen sieben Millionen Mark; jeweils 50 Prozent davon kommen aus Bonn. Das sind zusammen acht Millionen Mark Bundesmittel – das reicht nicht mal für die allernotwendigsten Instandsetzungen.
Der Geschäftsführer der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Markus Ohlhauser, ist schon lange besorgt. „Uns erreichen dauernd Signale, daß der Bund sich aus der Verantwortung ziehen möchte.“ Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Gedenkstätten vor einer doppelten Zerreißprobe stehen. Sie sollen zum einen von der DDR-Legitimationsideologie befreit, andererseits um eine Darstellung ihrer Nachkriegsgeschichte ergänzt werden. Denn Sachsenhausen und Buchenwald waren von 1945 bis 1950 auch sowjetische Internierungslager, in denen unzählige Menschen gestorben sind – unter ihnen Nazis, Kriegsverbrecher, Sozialdemokraten, die sich dem kommunistischen Kurs widersetzten, aber auch völlig willkürlich Festgenommene.
Die Gedenkstätten, so das Ergebnis vieler Historikerkonferenzen, sollen Orte werden, die sowohl an den nationalsozialistischen Terror erinnern als auch an die stalinistischen Gewalttaten. Natürlich räumlich getrennt, ohne daß Opfer und Täter vermischt werden und ohne das eine Gedenken durch das andere zu relativieren. Widerstand gegen dieses Konzept kommt von den altkommunistischen Häftlingsgruppen, die gegen die Demontage ihrer Weihestätten protestieren – aber auch von den Landesregierungen. Der Krach um Buchenwald ist dafür ein gutes Beispiel.
Der Krach ist kompliziert, weil er auf zwei scheinbar getrennten Ebenen verläuft. Da ist zum einen der Streit um Thomas Hofmann, von 1991 bis zum Januar 94 Leiter der Gedenkstätte, und zum anderen die Auseinandersetzung über Akten aus dem SED-Parteiarchiv. Es geht um Protokolle und Stellungnahmen, die die KPD/SED zwischen 1946 und 1948 im Zuge einer Parteiüberprüfung angelegt hatte. Sie geben anhand von Zeugenaussagen detalliert Auskunft über die partielle Zusammenarbeit von Nazis und Kommunisten im KZ Buchenwald. Sie belegen auch, daß einige Mitglieder der „illegalen Lagerleitung“ Menschen, die sie als Spitzel verdächtigten, umgebracht haben (s. Text unten).
Es ist hochbrisantes Material, das seit zwei Wochen von der thüringischen Boulevardpresse im Rahmen einer Serie über die „Untaten der Kommunisten“ präsentiert wird. Kopien dieser „Geheimakte Buchenwald“ liegen der Gedenkstätte seit 1992 vor, aber die wissenschaftliche Abteilung hat bis heute noch keinen Bericht darüber gemacht. Hofmann behauptet, diese Arbeit werde aus ideologischen Gründen von einem Teil der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die überwiegend schon zu DDR-Zeiten in der Gedenkstätte gearbeitet haben, „bewußt verschleppt“. Der Pressesprecher des thüringischen Wissenschaftsministeriums dagegen behauptet, daß Hofmann „nicht genügend Druck“ gemacht habe.
Der Streit um die Akten fällt zusammen mit dem Streit um Thomas Hofmann. Ihn hatte der thüringische Landesminister für Kultur und Wissenschaft, Ulrich Fickel (FDP), Ende Januar als Gedenkstättenleiter abgesetzt und zum wissenschaftlichen Leiter, also zum Chef über diese Akten gemacht. Neuer Gedenkstättenleiter wurde der pensionierte Staatssekretär und Verwaltungsfachmann Werner Prans, genau wie Hofmann ein Wessi aus Hessen. Er sollte erst einmal für Ruhe sorgen und ein neues Organisationskonzept für die Gedenkstätte erarbeiten. Das hat er auch getan, aber, so Hofmann, ihm dabei alle Kompetenzen genommen: „Ich wurde kaltgestellt.“ Und das sei „Kalkül“ gewesen, denn der Widerstand der kommunistischen Traditionsverbände, allen voran vom Vizepräsidenten des Internationalen Lager-Komitees, Emil Carlebach, gegen die „Neuprofilierung“ der Gedenkstätte sei auf eine „groteske Weise seit Monaten eskaliert“. „Und das, wo Wahlen vor der Tür stehen und die Koalition um ihre Mehrheit fürchten muß“, sagt Hofmann. „Da brauchte man ein Bauernopfer, und das war ich.“
Damit nicht genug, meint Hofmann. Prans habe Mitarbeiter in der wissenschaftlichen Abteilung, mit denen er gut zusammenarbeiten konnte, „degradiert“ und andere Mitarbeiter, wie etwa die ehemalige Gedenkstättenleiterin zu SED-Zeiten, Irmgard Seidel, in „Schlüsselpositionen gehievt“. Er habe sie faktisch zur Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung gemacht – und damit zur obersten Hüterin der brisanten Akten. Das entbehre nicht der Ironie, sagt Hofmann. Denn Irmgard Seidel war in der Vergangenheit zuständig für die Betreuung der Häftlingskomitees, die wiederum nicht müde werden, Thomas Hofmann als „elenden Lügner“ zu beschimpfen. Hofmann wolle durch den Bau eines Museums für Internierungsopfer „den Nazis ein Denkmal setzen“, schimpft Emil Carlebach, Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora. Er, Hofmann, plane eine „Walhalla für Rudolf Heß“ und wolle die „Reichskriegsflagge auf dem Ettersberg“ wehen lassen. Hofmann „passen die verleumderischen Akten über angebliche Greueltaten von Kommunisten im KZ wunderbar in den Kram, um den Widerstand ganz zu leugnen oder zumindestens mit Dreck zu bewerfen“, erklärte Carlebach gegenüber der taz.
Hofmann meint, in die Mühlen zwischen Häftlingskomitees und Bürokratie geraten zu sein und interpretierte neulich seine Zurücksetzung in der Thüringischen Landeszeitung als einen Beleg dafür, daß in der Gedenkstätte die „restaurativen Kräfte“ wieder Oberwasser erhalten. Es bestehe die Gefahr, „daß Buchenwald an seinen DDR-Traditionen erstickt“. Aus Protest ließ er sich Mitte Februar auf unbestimmte Zeit beurlauben und löste damit in Thüringen einen Skandal aus. Einen Skandal, den die Landesregierung ziemlich erfolglos herunterspielte, indem sie den Fall Hofmann als „individuell menschliches und beamtenrechtliches Problem“ bezeichnete. Hofmann sei „überfordert“, hieß es. Und in einer Presseerklärung wurde behauptet, er habe, indem er die Vorwürfe öffentlich machte, Mitarbeiter diskreditiert und die „Würde der Gedenkstätte beschädigt“. Es könne auch keine Rede davon sein, daß die „restaurativen Kräfte“ durch die Reorganisation gestärkt werden sollten, denn die Zielsetzung, den Ettersberg aus dem „einseitigen Blickwinkel auf den kommunistischen Widerstand zu lösen“, sei Grundkonsens, „an dem kein Mitarbeiter ernsthaft rüttelt“.
Inzwischen hat die thüringische Landesregierung ein Einlenken signalisiert. Auch Hofmann erklärte, daß er eventuell die Arbeit fortsetzen würde. Allerdings erwarte er von Fickel eine schriftliche Dienstvereinbarung, in der seine Zuständigkeiten klar geregelt werden.
Bleiben die Akten. Siegfried Vergin, SPD-Fachmann für Gedenkstätten und heute ebenfalls auf der Schulbank in Sachsenhausen, will, daß sie auf den Tisch kommen. Die Zuständigkeit für die Bearbeitung müsse „schleunigst zwischen Bonn und Erfurt gelöst werden“. Dies fordert ebenfalls der Mannheimer Historiker Hermann Weber. Bisher sei das Verhältnis der KZ-Häftlingsgruppen nicht ausreichend Gegenstand der Geschichtsforschung gewesen, sagt er. „Jetzt ist es aber dringend notwendig, daß da was passiert.“ Eines aber ist schon jetzt sicher. Die Aktenfunde werden die Spannungen zwischen den vielen Häftlingsorganisationen, die das Andenken an den kommunistischen Widerstand hochhalten, und den Opferverbänden, die die Erinnerung an die stalinistischen Internierungslager erst wecken wollen, vertiefen. Und im „Superwahljahr“ vielleicht auch die politischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West. Denn der Kampf um die Geschichte ist immer auch ein Kampf um das Interpretationsmonopol. Anita Kugler
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