: Wie lange hält die Waffenruhe in Sarajevo?
■ Serben beschießen UNO-Blauhelme / Sicherheitsrat erlaubt Waffengebrauch zur Wiederherstellung der Versorgung / Schicken Türkei und Italien Soldaten?
Sarajevo (AFP/AP) – Der Beschuß von UNO-Soldaten in Sarajevo und die Entdeckung bisher verborgener Artilleriewaffen der Serben haben am Wochenende die Befürchtungen verstärkt, daß der Waffenstillstand in der bosnischen Hauptstadt nach fast drei Wochen wieder zusammenbrechen könnte. Französische UNO-Truppen schossen am Samstag zurück, nachdem die Serben das Feuer auf ihre Stellung am jüdischen Friedhof eröffnet und dabei einen Soldaten verletzt hatten. „Wir nehmen an, daß dies ein gezielter Angriff auf unsere Truppen war“, sagte UNO-Sprecher Rob Annink.
Die Sorge um den Bestand der Waffenruhe veranlaßte den UNO- Sonderbeauftragten Yasushi Akashi zusammen mit UNO- Kommandeur Michael Rose nach Pale in das Hauptquartier von Serbenchef Karadžić zu fahren. Vertreter der UNO äußerten die Befürchtung, daß die Serben die Entschlossenheit von UNO und Nato auf die Probe stellen könnten. Am Donnerstag abend waren innerhalb der 20-Kilometer-Zone um Sarajevo sechs serbische Haubitzen entdeckt worden, die der UNO nicht übergeben worden waren. „Wenn wir in den nächsten Tagen nicht die Kontrolle über solche Waffen bekommen, könnte der Waffenstillstand zusammenbrechen“, sagte Annink. Um dies zu verhindern, benötige die UN- Truppe dringend weitere Verstärkung.
Einen weiteren Grund für Verstärkung der UNO-Truppe lieferte auch die Resolution zur Wiederherstellung des öffentlichen Lebens in Sarajevo, die der UN-Sicherheitsrat in der Nacht zum Samstag nach tagelangen kontroversen Diskussionen einstimmig verabschiedete. Danach dürfen die UN-Schutztruppen gemäß Kapitel Sieben der UN-Charta auch Waffen einsetzen, um hinter serbischen Linien liegende Wasser-, Gas- oder Elektroleitungen zu erreichen. Die Blauhelme werden befugt, Blockaden von Hilfskonvois inner- und außerhalb der Stadt mit Gewalt durchzusetzen. Mit der Wiederherstellung des „Alltagslebens“ wird UN-Generalsekretär Butros Ghali einen zivilen Sonderbeauftragten ernennen. Eine erneute Androhung von Nato-Luftangriffen findet sich in der Resolution dagegen nicht. Diese war von Rußland verhindert worden. In der Resolution wird außerdem aufgefordert, zu prüfen, ob die bosnischen Städte Maglaj, Mostar und Vitez zu UN-Schutzzonen erklärt werden sollen. Vor dem Sicherheitsrat bestätigte Ghali zudem, daß die vor einer Woche über Nordbosnien abgeschossenen Kampfflugzeuge in Udbine in der von Serben besetzten kroatischen Krajina gestartet seien.
Gegen die Teilung Sarajevos in eine serbische und eine kroatisch- muslimische Einflußzone haben gestern rund siebenhundert BewohnerInnen der Hauptstadt demonstriert.
Blauhelm-Begeisterung ergreift Italien
Rom/Istanbul (taz/dpa) – Inzwischen haben sich Spanien, Italien und die Türkei bereit erklärt, einen Teil der von der UNO für Bosnien geforderten 10.500 zusätzlichen Blauhelme zu entsenden. Auch Großbritannien soll die Aufstockung seines Kontingents von bisher 2.400 auf 3.600 Soldaten vorbereiten. Die nationalliberale türkische Tageszeitung Hürriyet schrieb, erstmals seit dem Zusammenbruch des osmanischen Imperiums würden türkische Soldaten „Fuß auf den Balkan setzen“. Der zuständige Vize-Staatssekretär im Außenministerium habe jetzt durch intensive Gespräche in Moskau die Vorbehalte Rußlands dagegen beseitigt.
Auch in Italien stößt die Frage einer Blauhelm-Entsendung in gewissen Kreisen auf Begeisterung. Italienische Soldaten in Mostar und Sarajevo, zumindest aber im schon immer zu Italien gerechneten Istrien und an der Adriaküste – das wäre doch was, strahlen die Großmachtverfechter im Land, besonders Neofaschistenführer Gianfranco Fini, der die Chance sieht, gewisse Gebiete „heim ins Reich“ zu holen, zumindest aber „Italien wieder einmal eine große Rolle in der internationalen Politik“ zuzuerkennen.
Völlig verunsichert versuchen sich Italiens Regierung und die anderen Parteien um die Frage herumzuwinden. Außenminister Andreatta verweist darauf, daß es „doch noch gar keine offizielle Anfrage“ gibt – was nur zum Teil stimmt: Nicht die UNO, wohl aber die bereits mit Blauhelmen in Bosnien vertretenen Staaten wünschen eine italienische Beteiligung. Immerhin legt Andreatta, den Wahltermin 27. März im Visier, dann doch noch nach: „Es ist doch geradezu pervers, wenn wir unseren Soldaten zwar den Abschuß von serbischen Flugzeugen erlauben, friedliche Blauhelme aber nicht entsenden dürfen.“ rai
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