: Es ist eine alte Geschichte – wann schreiben wir sie neu?
■ Annelies Kohleiss zur Diskriminierung von Frauen im Rentenrecht – und zum Generationenvertrag
Frauendiskriminierung bei Arbeitssuche und Entlohnung ist eine alte, sehr alte Geschichte, älter als das Jahrhundert. Wer erinnert sich heute zum Beispiel noch an die Lohnabschläge für Frauen, vorgesehen in früheren Tarifverträgen? Sie wurden bis zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.Januar 1955 vorgenommen.
Offene und versteckte Lohndiskriminierungen haben sich immer auch in niedrigen Frauenrenten niedergeschlagen. Zusätzliche Diskriminierung durch das Rentenrecht gibt es aber erst seit 1957: Mit der Rentenreform (1957) wurde das Ansparverfahren (Vorfinanzierung der eigenen Rente durch angesparte Beiträge) ersetzt durch ein Umlageverfahren, auch Generationenvertrag genannt. Mit den Beiträgen, die heute eingehen, werden die laufenden Renten bezahlt, und die jeweils nächste Generation muß mit ihren Beiträgen für die Renten der älteren Generation aufkommen. Seit dieser Rentenreform steigen die Renten wie die Arbeitseinkommen; steigende Tendenz besteht auch bei den Beiträgen: Aber auch die Schere zwischen Männer- und Frauenrenten ist seither weiter aufgegangen.
Doch nicht der Übergang vom Anspar- zum Umlageverfahren hat zu zusätzlicher Frauendiskriminierung geführt, sondern die neuen Rentenberechnungsvorschriften. Danach kommt es nicht mehr nur auf die Zahl und Höhe der entrichteten Beiträge an. Auch zahlreiche andere Zeiten – Ausbildungszeiten, Zeiten von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Kuren usw. – werden ähnlich wie Beitragszeiten rentensteigernd angerechnet (bis zum 31.12.1991 unter der Bezeichnung Ausfallzeiten, seither Anrechnungszeiten), sie gelten als Zeiten unverschuldeter Nichtleistung. Als Nichtleistung gilt auch Töchtererziehung, aber sie gilt nicht als unverschuldet. Ausgerechnet die Erziehung der Töchter, die einmal alle Renten finanzieren müssen, wurde und wird bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt, bis 1986 überhaupt nicht, seither mit höchstens einem Jahr.
An die Behandlung von Erziehungszeiten als quasi „verschuldete“ Nichtleistung knüpfen weitere Diskriminierungen an. Ausfallzeiten und eine weitere aus sozialen Erwägungen anrechenbare Zeit (nämlich die zwischen Eintritt des Versicherungsfalls und dem 55. Lebensjahr – Zurechnungszeit genannt) waren bis zum 31.Dezember 1991 nur solchen Versicherten anzurechnen, bei denen die sogenannte Halbbelegung vorlag. Halbbelegung bedeutete: Die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Versicherungsfall mußte zur Hälfte mit Beiträgen belegt sein, allerdings mit Einschränkungen. Ausfallzeiten wie Krankheit, Arbeitslosigkeit usw. waren zunächst von der Gesamtzeit abzuziehen, nur der Rest mußte eine 50-prozentige Beitragsdichte aufweisen. Zeiten der Unterbrechung wegen Töchtererziehung führten dagegen nicht zur Verkürzung der zur Hälfte mit Beiträgen zu belegenden Zeit. Die Halbbelegung war daher für Nichtfrauen leichter zu erreichen als für Frauen mit Lücken wegen Töchtererziehung oder anderer familiärer Verpflichtungen. Bei fast allen nichtweiblichen Versicherten lag daher Halbbelegung vor – während 46 Prozent der versicherten Frauen sie auch noch im Jahr 1991 nicht erreichten. Folge: Bei fast der Hälfte der versicherten Frauen gab es keine Anrechnung von Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit und damit keinen „sozialen Ausgleich“. Aber damit noch kein Ende der Diskriminierung: Bewertet wurden Ausfallzeiten mit dem Durchschnitt der entrichteten Beiträge. Vor allem bei Frauen, die aus familiären Gründen ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen hatten oder auf Teilzeitarbeit übergegangen waren, lagen die weit unter dem Durchschnitt von Nichtfrauenzeiten. Folge dieser Verknüpfung von sozialem Ausgleich (= Bewertung der Ausfallzeiten) mit dem durchschnittlichen Beitragswert: Soweit bei Frauen sozialer Ausgleich überhaupt stattfand, fiel er auch noch geringer aus!
Als im Jahr 1965 für die Anrechnung von Ausbildungszeiten und der ersten fünf Versicherungsjahre Tabellenwerte eingeführt wurden, hat die Gesetzgeberin ganz unverblümt die Auffassung vertreten: Frauen verdienen im Durchschnitt so viel weniger, deshalb muß der soziale Ausgleich auch bei allen Frauen niedriger ausfallen. Ihre Ausbildungszeiten und ersten fünf Versicherungsjahre wurden daher um circa 25 Prozent niedriger bewertet. Im Bundestag ist diese direkte Diskriminierung viele Jahre lang heftig verteidigt worden – darin könne doch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gesehen werden! Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni 1981 das Gegenteil festgestellt. Bei der Korrektur zum 1.Januar 1983 wurde dann ein für beide Geschlechter gleich hoher Mittelwert festgesetzt. Aber einer ganzen Generation von Nichtfrauen – all denen, die zwischen 1965 und 1982 in Rente gegangen sind – hat diese Frauendiskriminierung dauerhaft eine höhere Rente gebracht, als sie bei gleich hohen Werten schon ab 1965 gewesen wäre.
Das Argument, Frauen verdienten doch auch durchschnittlich so viel weniger, ist einige Jahre später wieder hervorgeholt worden, als es um die Bewertung der Erziehungszeiten nach dem Hinterbliebenenrenten und Erziehungszeitengesetz ging. Mit diesem Gesetz ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.März 1975 über die Verpflichtung zur Gleichbehandlung von Witwen und Witwen bei der Gewährung von Hinterbliebenenrente umgesetzt worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings auf verschiedene Lösungsmöglichkeiten, unter anderem auf die eigenständige Sicherung der Frau, hingewiesen. Danach wurde jahrelang über eigenständige Sicherung der Frau (durch gleichberechtigte Beteiligung an den in der Ehe erworbenen Anwärterinnenschaften in Verbindung mit Anrechnung von Erziehungszeiten) diskutiert.
Die Verbesserung der Alterssicherung der Ehefrau durch gleichberechtigte Beteiligung an den während der Ehe erworbenen Anwärterinnenschaften (wie im Versorgungsausgleich) hätte jedoch die Ehenichtfrau etwas „gekostet“, und dies sollte – darüber bestand offensichtlich Einigkeit – nicht sein.
Statt eigenständiger Sicherung der Frau sah daher der Entwurf zur Neuordnung eine „unbedingte“ Hinterbliebenenrente für beide – aber unter teilweiser Anrechnung bestimmter eigener Einkünfte vor. Das Mehr für hinterbliebene Nichtfrauen sollte durch ein entsprechendes Weniger für Witwen kompensiert werden – und so ist es dann auch geschehen.
Proteste von Frauenverbänden, „zehn Jahre Diskussion über eine eigenständige Sicherung und jetzt eine Neuordnung nur zu Lasten von Frauen“, führten zur Ergänzung durch eine Erziehungszeitenregelung und zum Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz (HEZG). Anzurechnen ist seither das erste Jahr nach der Geburt einer Tochter unter der Voraussetzung, daß keine sonstigen Pflicht- oder freiwilligen Beiträge für diese Zeit vorliegen. Damit sollte klargestellt werden, daß es nicht um die Berücksichtigung einer Leistung, sondern nur um eine „lückenfüllende“ Maßnahme geht, für die auch nur Werte von 75 Prozent eines Durchschnittseinkommens in Betracht kommen könnten, „weil Frauen im Durchschnitt auch nicht mehr verdienen“. Nach Hinweis auf die Entscheidung zu den Tabellenwerten wurde die Begründung gestrichen, die Bewertung blieb.
Nach Verabschiedung des HEZG gab es Sozialpolitikerinnen, die vollmundig von der Beseitigung eines hundertjährigen Unrechts sprachen. Daß dieses Unrecht erst 1957 in das Rentenrecht eingefügt wurde, hat man dabei ebenso geflissentlich übergangen wie die zunehmende Kritik an der Transferausbeutung von Müttern durch dieses Recht. Durch die steigenden Abgaben zugunsten der Rentenfinanzierung werden nämlich die familiären Unterhaltsansprüche ausgehöhlt, ohne daß durch angemessene Beteiligung an den von der nächsten Generation aufgebrachten Mitteln ein Ausgleich gewährt wird.
Bei der Behandlung von Töchtererziehung als „Nichtleistung“, für die es nur sogenannten „sozialen Ausgleich“ auf unterdurchschnittlichem Niveau gibt, ist es auch nach dem Rentenreformgesetz 92 (RRG) geblieben. Zwar ist darin die Anrechnung von drei Jahren für ab 1992 geborene Töchter in Aussicht gestellt worden. Abgesehen davon, daß es sich dabei nur um Versprechungen für eine ferne Zukunft handelt, sollte mit dieser Regelung „ein Elternteil“ (welche wohl?) zur Freimachung ihres Arbeitsplatzes veranlaßt werden. Deshalb ist die Entscheidung für 1992 als Beginn der verlängerten Anrechnung gefallen. Bei der Anhörung im sozialpolitischen Ausschuß im April 1989 ist das offen diskutiert worden.
Die Voraussetzung „Halbbelegung“ für die Anrechnung von Zeiten ohne Eigenleistung und die Bewertung mit dem Durchschnitt der jeweils davor entrichteten Beiträge ist mit dem RRG 92 entfallen und mit Regelungen eines „Beitragsdichtemodells“ ersetzt worden. Für die Bewertung kommt es jetzt nicht mehr allein auf die durchschnittlichen Beitragswerte an, sondern auch auf die Beitragsdichte bzw. die Lücken im Versicherungsverlauf (Versicherungsverlauf = Zeit vom 16. Lebensjahr bis zum Versicherungsfall). Je mehr Lücken, um so geringer die Bewertung. Zeiten von Arbeitslosigkeit und Krankheit usw. führen jedoch gar nicht zu Lücken, wenn es, in Form von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Krankengeld usw., Gelder von den zuständigen Versicherungsträgerinnen gegeben hat. Diese Zeiten gelten dann als Beitragszeiten. Wer allerdings keine Leistungen etwa während der Arbeitslosigkeit erhält, vielleicht weil die Anwärterinnenschaft auf Arbeitslosengeld erloschen ist – oder weil nach Auslaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld auf Unterhalt verwiesen wird, den die Partnerin zahlen soll, die bzw. Arbeitslose hat Pech; denn auf Unterhalt durch Partnerinnen werden vor allem Frauen verwiesen. Arbeitslosigkeit ohne Sachbezug gilt nur als Anrechnungszeit und bringt für die Rente weniger. Gleich viele und gleich hohe Beiträge zur Arbeitslosenversicherung führen also bei Arbeitslosigkeit und vor allem bei der Rente nicht unbedingt zur Gleichbehandlung. Und auch hier trifft die Benachteiligung (vor allem) Frauen.
Die knapp 40jährige Geschichte des Rentenrechts seit 1957 ist die Geschichte zahlreicher Rentenänderungsgesetze, nicht selten von Kommentaren begleitet wie: „Eins aber ist sicher, die Rente.“ Sicher war bisher aber nur eins: Diskriminierungen für Frauen hat es in jedem dieser Reformgesetze gegeben. Und frau macht keinen Unterschied, ob im einen Fall die Beitragsentrichtung wegen Alkoholentziehungskuren, der Folgen selbstverschuldeter Verkehrsunfälle oder aus ähnlichen Gründen länger unterbrochen war – oder im anderen die ebenso lange Unterbrechung wegen Töchtererziehung.
Ist Diskriminierung im Rentenrecht für Frauen also ein unabänderliches Schicksal? Ansätze für eine Korrektur gab es zwar etwa mit der Entschließung vom Juni 1991, mit der Berücksichtigung von Töchtererziehung neben Erwerbstätigkeit angekündigt worden war. Es gibt aber vor allem auch die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 7.Juli 1992 (zu der Anrechnung von Erziehungszeiten) und vom 23.Mai 1993 (zu Paragraph 218), mit denen festgestellt worden ist, daß es sich bei Töchtererziehung um die den Bestand der sozialen Sicherungssysteme sichernde Leistung handelt und die Gesetzgeberin daher verpflichtet sei, die Benachteiligung der Erziehenden abzubauen – gegebenenfalls durch Umschichtungen. Das Bundesverfassungsgericht hat also gesprochen, zweimal sogar. Die Gesetzgeberin bzw. das zuständige Ministerium aber schweigt und bestreitet die Verfassungswidrigkeit des derzeitigen Rechts. Ändern wird sich also wahrscheinlich nichts, solange Frauen ihre Zukunft nicht selbst in die Hand nehmen und die Umsetzung der Aufträge des Bundesverfassungsgerichts nachhaltig bei ihren Abgeordneten, ihren Parteien einfordern.
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