piwik no script img

Die Frauen der Schweiz überholen die Deutschen

■ Morgen soll das Parlament ein weitreichendes Gleichberechtigungsgesetz beschließen / Seit dem Frauenstreik von 1991 schreitet der Alpenfeminismus voran

Genf (taz) – „Soll ich denn dauernd in meinen Büros patroullieren, um sexuelle Belästigung zu verhindern?“ spöttelte Walter Frey, größter Schweizer Autoimporteur und zugleich Zürcher Nationalratsabgeordneter der konservativen „Schweizer Volkspartei“ (SVP). Und Freys Tessiner Fraktionskollege, Schreinermeister Bortoluzzi, kündigte an, er werde an seine Beschäftigten „Blechhosen verteilen“ – als eine Art Keuschheitsgürtel.

Die plumpen Sprüche, die die SVP-Männer letzte Woche auf einer Fraktionssitzung und anschließend in einem Berner Café in Anwesenheit ihrer Fraktionskolleginnen von sich gaben, galten einem keineswegs radikalen Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Frau (GIG), über den morgen im Schweizer Nationalrat entschieden wird. Unterstützt wird der „guteidgenössische Kompromiß“ von allen zwölf großen Schweizer Frauenorganisationen. Einer der 18 Artikel sieht ein Verbandsklagerecht vor: Zum Schutz vor Repressalien brauchen Frauen nach dem Gesetzentwurf bei Klagen gegen zu niedrige Löhne oder andere Formen der Diskriminierung nicht selber vor Gericht aufzutreten, sondern sie können sich durch eine Frauenorganisation oder einen Berufsverband vertreten lassen. In einem weiteren Artikel wird die Beweislast bei Diskriminierungen am Arbeitsplatz umgekehrt.

Der Gesetzentwurf, zu dem bereits ein Antrag auf Nichtbefassung sowie 17 Anträge zur Verwässerung einzelner Vorschriften vorliegen, ist nur der jüngste Versuch, den vor 13 Jahren in die Schweizer Bundesverfassung aufgenommenen Artikel über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in die Praxis umzusetzen. Noch 1959 hatten bei einer Volksabstimmung zwei Drittel aller Schweizer Männer den Frauen politische Rechte verweigert. Bei der Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene im Jahre 1971 stimmten noch ein Drittel der Männer dagegen. Erst vor zwei Jahren, unter dem Druck eines höchstrichterlichen Urteils, führte mit Appenzell-Innerroden auch der letzte Kanton das Frauenstimmrecht ein. Doch noch immer ist in der Schweiz „die Gleichberechtigung der Geschlechter noch bei weitem nicht verwirklicht“, faßt das Berner Bundesamt für Statistik in einer neuen Untersuchung zusammen.

Große Erfolge gelangen im letzten Jahr allerdings in der Politik. Angespornt durch die Wahl der engagiert für Frauenrechte streitenden Sozialdemokration Ruth Dreifuß in den siebenköpfigen „Bundesrat“ (die Regierung), schafften Frauen bei zahlreichen Kommunal- und Kantonalwahlen den Einzug in die Parlamente und veränderten die Geschlechterverhältnisse zum Teil erheblich. Weiterhin wirkt auch der große Streikerfolg vom 14. März 1991 nach: Damals verweigerten 500.000 Schweizerinnen – jede sechste – Haus- und Lohnarbeit. Den deutschen Frauen, die sich diesen Streik zum Vorbild für den Frauenstreiktag in Deutschland am heutigen 8. März nahmen, rät die Frauenbeauftragte der Stadt Zürck, Zita Küng, dringend, „alles genau zu dokumentieren“. Denn da 1991 in der Schweiz „auch die meisten Pressefrauen streikten“, seien „Berichterstattung und Fotos vom Frauenstreik fest in Männerhand“ gewesen. Andreas Zumach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen