piwik no script img

Frauentag: Die Stadt ist weiblich

■ In Bremen gingen Frauen auf die Straße / Gegen das frauenpolitische Roll-Back n

Bremer Marktplatz morgens um sechs: Zwei Kamerateams von RTL und Radio Bremen warten auf den Frauenstreik. Der taucht dann auch tatsächlich am Roland auf. Drei Frauen wollen dem Steinmann ein lila Beinkleid verpassen, haben allerdings nicht an die Leiter gedacht. „Könntet Ihr uns vielleicht...“ wenden sie sich an die Fernsehleute. Nein, sie konnten nicht, und so hing dem Roland sein Bauchtanzrock in den Kniekehlen.

Gleichzeitig benennen 15 Gewerkschafts-Frauen zwölf Innenstadt-Straßen mit knallroten Überziehern um: Aus dem Domshof wird der Frauenhof, die Obernstraße wird zur Rosa-Luxemburg-Straße, die Hankenstr. zum Clara-Zetkin-Weg. Der Marktplatz mitsamt Rolandia heißt nun nach der Frauenrechtlerin „Hedwig Dohm Platz“ und die Böttcherstraße „Putzmacherinnen-Weg“. Weithin sichtbar leuchten die neuen Straßenschilder durch die City.

Hemelingen, Mercedes-Werk, 6 Uhr 30: Das angekündigte Frauenfrühstück schrumpft zur Flugblattaktion vor dem Werk. Betriebsrätin Hermine Fischer: „Mehr konnten wir wirklich nicht riskieren. Nachher lassen wir die Frauen ins offene Messer laufen.“ Sie betont: den Frauen hätten Abmahnungen und Kündigungen gedroht, für die die Gewerkschaften nicht die Verantwortung übernehmen wollten. Bei der DASA wird eine eineinhalbstündige Frauenversammlung einberufen – einige andere Betriebe und Dienststellen im öffentlichen Dienst werden später dasselbe tun.

Am Dobben, 8 Uhr 15: Die taz-Putzfrau kommt nicht.

Bremer Universität um 10 Uhr: Auch die Uni bekommt einen neuen Namen. Studentinnen des Frauen- und Lesbenreferates rufen die „Flora Tristàn Universität“ aus – benannt nach der Vorkämpferin einer autonomen Frauenbewegung im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Als scharfe Gegnerin von George Sand, die sich Männerrechte durch ihre Verkleidung zum Mann nahm, kämpfte Tristán für das Recht der Frau auf Selbstverwirklichung – bis zu ihrem Tod auf einer erschöpfenden „Tour de France“, auf der sie mehrere Jahre lang von Kundgebung zu Kundgebung geeilt war.

Friedrich-Ebert-Straße, 10 Uhr 19: Stillvergnügt radelt eine Frau mit ihrem Kind auf dem Gepäckträger in die Neustadt – ein lila Luftballon flattert an der Lenkstange. Zwei ältere Neustädterinnen winken ihr zu und lachen.

Cafè Klöntje, 11 Uhr: Rund 30 Frauen treffen sich zum gemeinsamen Frühstück – etwa zur Hälfte deutsche und nichtdeutsche. Organisiert hat Semra Ulusoy von der Frauengruppe des türkischen ImmigrantInnenverbandes DIDF. „Für mich muß der Frauentag ein Feiertag sein“, erzählt Emine Atakli, „und meinem Mann habe ich gesagt: Ich habe heute frei, mach Du das Essen für die Kinder – heute abend bin ich wieder da“. Anschließend werden die Frauen gemeinsam zum Marktplatz ziehen und laut für ein von den Ehemännern unabhängiges Aufenthaltsrecht eintreten und gegen Rassismus und Sexismus demonstrieren. „Wir finden es wichtig, heute gemeinsam mit den deutschen Frauen zu protestieren, auch wenn die mit unseren getrennten Forderungen anfangs Schwierigkeiten hatten – nach dem Motto: wir sind doch alles Frauen, also gelten unsere Forderungen für euch auch“, so Semra Ulusoy. Zur gleichen Zeit finden in allen Stadtteilen Frauenfrühstücke statt. Im Arbeitslosenzentrum Tenever schreiben frauen ihre Forderungen auf Karteikarten nieder und hängen sie unter Applaus an Wäscheleinen.

Innenstadt, 12 Uhr: Die Kaufhäuser sind voll wie eh und je. Von Kaufstreik keine Spur. Der Seniorenverband mahnt auf dem Marktplatz: „Altersarmut ist weiblich“.

Hedwig Dohm-Platz, 12 Uhr 50: Langsam füllt sich der Platz. Eine Gruppe von Schülerinnen trudelt mit Trillerpfeifen und Krachmachern ein: „Wir müssen hierhingehen, hat unsere Lehrerin gesagt.“ In der Gesamtschule Mitte bleiben Jungs und Männer heute unter sich. Frauentag finden die Mädchen gut: „Da hat man frei“.

„Jetzt schlägt's 13“: Rund 1.000 Frauen sind zur Kundgebung gekommen. Die ersten Worte hallen über den ehemaligen Marktplatz: „Der 8. März soll lange Schatten werfen!“ Eine Frau murmelt: „Lieber Licht...“

„Daß so wenige gekommen sind“, trauert eine, die nächste: „Toll, daß es so voll geworden ist.“ Die Rednerinnen prangern die ungesicherten Arbeitsplätze von Frauen an, beklagen den frauenpolitischen Rollback, malen die wunderbare Situation der Frauenprojekte im Jahr 2014 aus, gehen gegen die strukturelle Gewalt von Männern gegen Frauen in die Offensive, rufen „Geht nachts auf die Straße und tretet die Männer in die Eier!“, treten ein gegen Zwangsheterosexualität und doppelte Diskriminierung von Lesben, wollen mehr Kindergarten- und Hortplätze, ... Dazwischen: Samba, und das Lied: „Sperma ist ekelhaft..!“ Gelächter.

Wilhelm-Kaisen-Brücke, 14 Uhr 15: Rund 50 Frauen ziehen zur „Besichtigung“ der Brücke, blockieren kurzfristig den Verkehr.

Schnoor-Cafès, ab 14 Uhr 30: Für eine Weile gilt: ladies only. Dann wartet wieder der Alltag.

skai/Ase/sip

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen