piwik no script img

Unterm Strich

Sie fehlen, die Kolleginnen. Draußen vor der Tür hört man sie zwar von Ferne trillerpfeifen, und oben im Archiv sitzen noch einige bei Sekt, Selters und französischem Käse. Aber hier unten am Computer ist alles still und leise und männerdominiert. Kaum wollen sich Gefühle einstellen, wenn man dem Tickerkasten die spärlichen Nachrichten entnimmt. Denn da ist auch nur von Männern die Rede: Fritz Egner, der sonst schon Scharen prominenter Erwachsener und rotzfrecher Kinder zwecks Dingsda zusammengeführt hat, darf den Festakt zur Vergabe des Deutschen Schallplattenpreises moderieren, der am 31. März dann nation-wide via ZDF und nicht etwa von MTV ausgestrahlt wird. Schließlich fühlt sich die Deutsche Phono-Akademie der Zukunft aufgeschlossen, aber nicht minder der Tradition verpflichtet. Dies Begehren spiegelt sich in den für Auftritte verpflichteten Showstars wider: Unter anderem sind Auftritte von Max Greger, Mario Adorf und Herbert Grönemeyer vorgesehen, später sorgen noch Ace of Base, Eberhard Schoener und Culture Beat für ausgelassene Jugendkultur.

Wenden wir unseren Blick von der Tanzfläche gen Bücherregal und Rednerpult: Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg erhält in diesem Jahr den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, was neben Ruhm und Ehre, televisionären Dichterportraits, grundsätzlichem „Wir-brauchen-endlich-eine-neue-deutschsprachige- Literatur“-Gegreine und einem gefälligst ordentlich auszufüllenden FAZ-Fragebogen auch ein erkleckliches Salär in Höhe von 60.000 Mark nach sich zieht — und eben eine Rede in Darmstadt. Stellt sich die Frage, ob so ein netter, bald 60jähriger Schweizer wie Muschg, zu dessen bekanntesten Werken die „Liebesgeschichten“ und „Albissers Grund“ zählen, dann vor versammelter Mannschaft ähnlich durchknallt wie einst Wolf Biermann. Ansonsten sind solcherlei Kanzelpredigten eh sterbenslangweilig.

Freimut Duve, der zur Zeit als Vorsitzender den Untersuchungsausschuß „Kunst und Kultur“ leitet, hat uns geschrieben, daß die „Beratungen zu Gedenkstätten“ zügig weitergeführt werden müssen, schließlich seien sich alle Fraktionen über deren Bedeutung als „Wegbegleiter zu einer toleranten Gesellschaft“ einig. Nur: „Gedenkstätten wie Buchenwald und Sachsenhausen wirken jedoch auf junge Leute nicht allein durch bloße Existenz. Sie müssen zum Sprechen gebracht werden durch eine angemessene personelle Ausstattung, durch Hilfe beim Erhalt baulicher Substanz, durch Unterstützung ihrer politischen Bildungsarbeit. Diese Hilfe muß rasch kommen — die Gedenkstätten brauchen Planungssicherheit.“ Es ist schon perfide, wie sich die Bedeutung mit der Sprache im Kreis dreht, so sie einmal von rechts wegen gegen den Strich gebürstet worden ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen