: Kassandra trillert auch im Westallgäu
In Lindenberg in Bayern stießen die Aktionen von 80 Frauen auf Unverständnis und Desinteresse / Frauenfrühstück der Arbeitslosen in Frankfurt an der Oder ■ Von Astrid Fendt und Silvia Schütt
Lindenberg/Frankfurt/Oder (taz) – Frauenstreik: Das waren gestern vor allem Aktionen in den Großstädten. Überall gab es Kundgebungen, Straßenumbenennungen und andere Aktionen. Die taz wollte wissen, wie Frauen abseits der Metropolen den 8. März begehen. Ganz im Süden der Republik in Lindenberg im Allgäu war mehr los als in mancher Großstadt – in Frankfurt an der Oder hingegen prägte Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst die Aktionen der Frauen.
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Die Glocken der Pfarrkirche St. Peter und Paul in der Allgäuer Kleinstadt Lindenberg läuten zum Mittagsgebet – lang und laut, wie jeden Tag. Schrilles Pfeifen übertönt plötzlich an diesem Dienstag das Geläute. Trommeln stören die Mittagsruhe im Zentrum des 11.000-Einwohner-Ortes. Ein kleiner Haufen buntgekleideter Frauen blockiert am Frauenstreiktag die Einfahrt zu der Straße, die immer wieder als Fußgängerzone gefordert wird.
Irritiert halten einige Autofahrer an. Ein Taxifahrer will wissen, auf welchem Weg er nun zur Sonderschule kommt. „Wir wollen den Männern bewußt im Weg stehen, wir wollen die Durchfahrt versperren“, meint Karin Endl. Sie ist eine der acht Mitarbeiterinnen der überparteilichen örtlichen Frauengruppe „Kassandra“, die den Streiktag im Westallgäu organisiert haben.
25 Frauen versperren anfangs den Weg. Sie fordern auf Transparenten: „Lieber gleich berechtigt als später“. Langsam wächst die Protestgruppe an. Schülerinnen und Seniorinnen gesellen sich zu den überwiegend jungen Frauen, die teils mit Kindern an der Hand ihre Rechte fordern. Während einige männliche Autofahrer verärgert über die Blockade den Streikenden Schimpfwörter an den Kopf werfen, drücken sich die meisten Passanten mit unbeteiligter Miene an der lärmenden Frauengruppe vorbei. Nur ein 70jähriger bleibt stehen und regt sich über „diesen größten Mist aller Zeiten“ auf.
80 Frauen stellen schließlich auf dem Stadtplatz um Punkt 13 Uhr im Rahmen der bundesweiten Aktionen ihre Forderungen. Zu den Liedern von Ina Deter will Sprecherin Gaby Deffner, daß „Frauen aus der Rolle des Opfers herausgehen, daß sie sich ihrer Stärke bewußt werden“. Und die Mitstreiterin Helma Lang wünscht sich abschließend, „in einer Gesellschaft zu leben, in der weder Frauen noch Männer dominieren“.
Radikal geht es bei der Kundgebung zum Frauenstreiktag in der Allgäuer Kleinstadt nicht zu. Die Frauen sind sich einig in ihren Forderungen, die Opposition läßt sich nicht blicken. Die örtliche CSU und der Frauenbund beteiligen sich nicht am Protest. Eine Antifa- Gruppe, die Grünen, SPD- und Gewerkschaftsfrauen sowie amnesty-international-Mitglieder machen an den Infoständen mit. Die Politiker interessieren sich nicht für den Streik.
Ablehnung haben die Organisatorinnen dafür um so mehr im Vorfeld erfahren. Abgerissene Streikplakate, verständnislose Betriebsrätinen oder lange Diskussionen um die Notwendigkeit eines Streiktages waren für Endl und Deffner die Regel bei Gesprächen mit Frauen und Männern. Trotz Blockade, Demonstration und Lila-Luftballon-Start bleibt der 8. März in Lindenberg eine interne Sache für einige wenige Frauen. Für die meisten der 11.000 Einwohner nimmt das Leben am Internationalen Frauentag seinen gewohnten Gang.
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Das Setting erinnert an eine überdurchschnittlich liebevoll arrangierte Pressekonferenz. U-förmig aufgestellte Tische, mit Brötchen- und Kuchenplatten beladen, auf jedem Teller thront eine in Goldfolie eingewickelte Praline mit nachträglich umgebundenem Herzchen. Die Mitarbeiterinnen des Arbeitslosen-Zentrums Frankfurt/ Oder haben zum Frauentagsfrühstück eingeladen, doch nur etwa ein Dutzend Frauen sind gekommen. Ruhig, fast andächtig sitzen sie auf ihren Plätzen.
Es ist schwer, Arbeitslose zusammenzutrommeln. „Viele schämen sich“, sagt eine 51jährige Bankkauffrau, die sich in eine Ecke gesetzt hat und mehr zuhört als spricht. Bei welcher Bank sie bis 1992 gearbeitet hat – 34 Jahre lang ohne einen Arbeitsplatzwechsel –, will sie nicht in der Zeitung lesen. Über die Kündigung hinaus befürchtet sie immer noch Schwierigkeiten. Heute ist sie geschieden und lebt mit zwei Kindern und 1.100 Mark Arbeitslosengeld im Monat. 20 Bewerbungen und ebenso viele Absagen hat sie hinter sich. Hoffnung auf bessere Zeiten? „Die rede ich mir ein. Das muß ich ja.“
Ein erster Schritt ist für viele der Gang zum Arbeitslosenzentrum. Doch den wagen fast nur Frauen. Männer können nicht eingestehen, daß sie arbeitslos sind und Hilfe brauchen, sagt Sozialarbeiterin Renate Jahlz. Mit einer Sportgruppe könnte man Männer anlocken, glaubt sie. In die Wandergruppe haben sich immerhin ein paar verirrt.
Dabei trifft – wie überall in Deutschland – in Frankfurt/Oder Arbeitslosigkeit die Frauen am härtesten. Etwa 61 Prozent aller Erwerbslosen in der 80.000-Einwohner-Stadt an der polnischen Grenze sind weiblich, rechnet die Gleichstellungsbeauftragte Gerda Schulz vor. „Der größte Schlag war die Abwicklung des Halbleiterwerks, wo 6.000 Frauen gearbeitet haben“, sagt sie. Viele sind extra wegen des Arbeitsplatzes in der Mikrochip-Produktion nach Frankfurt gekommen. Nicht endenwollende Plattenbauareale wurden dafür hochgezogen. Jetzt gibt es in dem Werk nur noch rund 600 Arbeitsplätze, Kurzarbeit inbegriffen.
Gerda Schulz ist zum Frühstück gekommen, um Rosen zu verteilen, Frauenbewegungsgeschichte im Zeitraffer zu erzählen und zum Zug vors Rathaus zu drängeln. Dort sollen die Frauen ihre Wünsche und Beschwerden auf einer Papierrolle verewigen, die später einem Bundestagsabgeordneten in die Hand gedrückt wird. Außerdem ist – nach Londoner Vorbild – eine „Speaker's Corner“ für Frauen eingerichtet. „Das Radio ist auch da“, spornt sie an. „Wir wollen doch nicht, daß es heißt, wir Frankfurterinnen stellen nichts auf die Beine.“ Drei, vier Frauen versprechen zu kommen, und Gerda Schulz zieht weiter zum nächsten Termin.
Das Stimmengewirr wird lauter. Gespräche drehen sich um Umschulungen, die arbeitsuchenden Sprößlinge und eigene Bemühungen, wieder auf die Beine zu kommen. Eine 44jährige, geschieden mit zwei Kindern, hat bei 47 Bewerbungen bisher nur Nieten gezogen. Seit ihrer Schulzeit war sie berufstätig, hat Elektromechanikerin gelernt, Staatswissenschaften studiert und ist in den öffentlichen Dienst gewechselt. Im Dezember 91 lag dann die Kündigung auf dem Gabentisch. Danach kam eine kaufmännische Fortbildung, demnächst fängt sie in einer Übungsfirma an, um sich einmal mehr weiterzuqualifizieren.
„Bei 1.200 Mark Arbeitslosengeld im Monat muß man sich viele kleine Geldquellen zusammensuchen“, schildert sie ihre Überlebensstrategie. Mal gibt es Unterhalt vom geschiedenen Mann, dann kommen Wohngeld und Kindergeld aufs Konto. „Wenn aus dem Arbeitslosengeld Arbeitslosenhilfe wird, muß ich eben zum Sozialamt gehen“, sagt sie.
Doch bis dahin wird sie sich wie viele andere weiter bewerben, Absagen kassieren, schlappmachen – und sich jedesmal wieder aufs neue aufrappeln.
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