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„In Serbien ist doch nie ein Schuß gefallen“

■ Herbert Schnoor, SPD-Innenminister Nordrhein-Westfalens, über den besonderen Fall der Kosovo-Albaner und die möglichen Gefahren für aus Serbien geflüchtete Deserteure

taz: Herr Schnoor, Ihr Ministerium hat allen Ausländerbehörden mitgeteilt, daß ab Donnerstag wieder Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro abgeschoben werden. Nach Auffassung von Flüchtlingsorganisationen droht vielen in ihrer Heimat Gefängnis und Folter ...

Herbert Schnoor: Ich glaube, man muß da genau differenzieren. Es geht überhaupt nicht um Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern um Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die hier illegal leben. Sei es, weil sie illegal eingewandert sind oder weil ihre Asylanträge abgelehnt worden sind. Diese Menschen sind nur deshalb nicht zurückgeführt worden, weil das wegen des Embargos bisher technisch nicht möglich war.

Darunter befinden sich doch auch viele Deserteure, oder?

Sie wissen, daß ich im letzten Jahr als einziger Innenminister einen sechsmonatigen Abschiebestopp für Kosovo-Albaner durchgesetzt habe. Die anderen Bundesländer haben mich leider nicht unterstützt, als ich darum gerungen habe, die Zustimmung des Bundes für eine Verlängerung zu bekommen. Für eine generelle Lösung sind mir nach dieser Entscheidung die Hände gebunden. Ich habe für diese Fälle aber eine sorgfältige Einzelfallprüfung angeordnet — und dabei bleibt es. Es kann sein, daß sich unter den aus Serbien stammenden Männern auch Deserteure befinden. Dazu muß man sagen, daß nach dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes an dem Krieg in Bosnien nicht mehr die serbische Armee beteiligt ist. In der Anfangsphase war das anders, und deshalb sind serbische Deserteure, die sich einem Kriegseinsatz gegen Bosnien entzogen haben, anders zu behandeln als etwa diejenigen, die aus Montenegro oder Mazedonien kommen.

Junge Serben und Kosovo-Albaner sind einst von vielen Organisationen, auch von der SPD, ermuntert worden, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Jetzt werden sie zurückgeschickt, obwohl das serbische Gesetz für Wehrdienstentzug Gefängnisstrafen zwischen 5 und 20 Jahren vorsieht ...

Menschen, die sich bei uns illegal aufhalten, müssen zurück.

Auch illegal eingereiste Deserteure?

Es muß die Gefährdung für jeden einzelnen überprüft werden.

In dem Lagebericht des AA ist davon die Rede, daß Kriegsdienstverweigerer aus Serbien nach ihrer Rückkehr festgenommen wurden.

Wenn ein Deserteur eine langjährige Haftstrafe zu erwarten hat, dann ist das für mich ein relevanter Grund. Dann kann man ihn nicht zurückschicken.

Wissen Sie, ob sich unter den Menschen, die am Donnerstag abgeschoben werden sollen, Deserteure befinden?

Nein. Ich kenne die Einzelfälle nicht, aber ich gehe davon aus, daß die Ausländerbehörden jeden Fall gewissenhaft geprüft haben. Am Donnerstag sollen 100 von insgesamt etwa 60.000 Personen zurückgeführt werden. Dieser Prozeß wird Jahre dauern. Deshalb kann man bei außergewöhnlichen Fällen so lange warten, bis sich die Verhältnisse beruhigt haben. Aber es kann nicht angehen, daß wir im Ergebnis sagen, alle Männer bleiben hier, und Frauen, Alte und Kinder schicken wir zurück.

Kann man sagen, alle Deserteure bleiben hier?

Nein. Für Serben muß man sehr genau prüfen, ob sie sich etwa der serbischen Armee entzogen haben, als die noch in Bosnien Krieg führte. Für die könnte eine Gefahr existieren, und deshalb muß man in solchen Fällen besonders vorsichtig sein.

Sie sind vom Gesetz her nicht gehindert, zumindest einen sechsmonatigen Abschiebestopp auch für Serbien anzuordnen.

Ich kann so etwas nur für Bürgerkriegsgebiete anordnen. Man kann doch nicht behaupten, daß Serbien, Montenegro oder Mazedonien Bürgerkriegsgebiete sind. Da ist doch nie ein Schuß gefallen.

Warum sind Sie vorgeprescht?

Ich bin überhaupt nicht vorgeprescht, diese Maßnahmen gelten bundesweit. Interview: Walter Jakobs

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