piwik no script img

Abschiebung über ein williges Drittland

Mit Maschinen der rumänischen Airline Tarom, die das Düsseldorfer Innenministerium eigens für den Zweck gechartert hat, beginnt das Bundesland Nordrhein-Westfalen morgen mit der „Rückführung“ von Flüchtlingen aus Serbien und Montenegro.

Begleitet von Protesten der Kirche und von Flüchtlingsgruppen, sollen schon am morgigen Donnerstag die ersten Kriegsflüchtlinge aus Restjugoslawien abgeschoben werden. Allein Nordrhein-Westfalen will in diesem Monat vom Flughafen Düsseldorf aus rund 600 Menschen zurücktransportieren. Die in Deutschland unerwünschten Flüchtlinge sollen mit der rumänischen Fluggesellschaft Tarom, die sich in der Vergangenheit schon bei der Abschiebung von Roma eine goldene Nase verdient hat, nach Rumänien geflogen und von dort aus mit einem Bus an die serbische Grenze gebracht werden. Als weitere Abschiebetermine sind der 17., 26. und 31. März geplant. „Die Frequenz der Abflugtermine“, so heißt es in einem Schreiben des NRW-Innenministeriums vom 25.2.94, „hängt von dem Bedarf ab, der sich aus den Meldungen der Ausländerbehörden ergibt. Um zu den genannten Terminen eine möglichst gute Auslastung der Maschinen zu erreichen“, bitte man um umgehende Meldung der „ausreisepflichtigen“ Personen.

Im Rahmen einer Staatssekretärsrunde wollen die Innenministerien der Bundesländer heute in Potsdam genauere Modalitäten der Massenabschiebung erörtern. Während das Saarland gestern erklärte, daß es ähnlich wie NRW von den Möglichkeiten einer Abschiebung über Rumänien Gebrauch machen werde, will Niedersachsen zunächst das Staatssekretärstreffen abwarten. Auch Hessen will zunächst prüfen, ob die Abschiebungen über Rumänien „ein gangbarer Weg“ sind.

Unstrittig unter den Ländern dürften jedoch die Abschiebungen von Serben und Montenegrinern sein. Besondere Rücksichtnahmen auf Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, wie sie von Menschenrechtsgruppen und Friedensinitiativen gefordert werden, sind mittlerweile kaum noch im Gespräch. Allein bei den Flüchtlingen aus dem Kosovo, die einen Großteil der zur Abschiebung Vorgesehenen stellen, erheben einige Innenminister Bedenken. NRW verspricht für Kosovo-Albaner eine intensive Einzelfallprüfung, Niedersachsen erwägt einen sechsmonatigen generellen Abschiebestopp. Das Innenministerium in Hannover beruft sich dabei auch auf jüngste Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, das albanischen Flüchtlingen aus der serbischen Provinz Kosovo bescheinigte, als Gruppe politisch verfolgt zu werden.

Nach wie vor unklar ist, wie hoch die Zahl der Abgeschobenen tatsächlich ist. Die Bundesländer haben darüber nur vage Zahlen. Die Zahl 230.000 wird unter Experten allgemein als „zu hoch gegriffen“ eingeschätzt. Vom Asylbundesamt in Zirndorf sind im letzten Jahr 59.000 Asylanträge von Flüchtlingen aus Restjugoslawien abgelehnt worden. Etliche dieser Anträge sind jedoch noch nicht letztinstanzlich entschieden, so daß die Betroffenen, streng nach Recht und Gesetz, eigentlich nicht abgeschoben werden dürften. Allein in NRW leben 4.600 Flüchtlinge aus dem Kosovo, deren Asylanträge rechtskräftig abgelehnt worden sind. Die Grünen im Landtag forderten die Betroffenen deshalb gestern auf, Asylfolgeanträge zu stellen, um einer Abschiebung zu entgehen.

Wenn am Donnerstag eine der größten Massenabschiebungen in der Geschichte der Bundesrepublik beginnt, befinden sich die deutschen Behörden in schlechter europäischer Gesellschaft. Schweden schiebt schon seit einem Jahr nach Serbien ab. Monatlich werden von dort aus rund 1.000 Kriegsflüchtlinge über Bulgarien in ihre serbische Heimat transportiert. Auch Österreich und der Schweiz war der Krieg bisher kein Hindernis, Menschen nach Serbien zurückzuschicken. Perversion der Geschichte: Ausgerechnet die serbische Regierung, vor der die Flüchtlinge geflohen sind, hat jetzt die Massenabschiebung als „unmenschlich“ und als „Bestrafung“ kritisiert. Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen