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Versöhnung der Völker – Verhöhnung der Opfer?

■ Belgien diskutiert Amnestie für Nazi-Kollaborateure / Flamen gegen Wallonen

Brüssel (taz) – In Belgien ist die alte Diskussion über eine Amnestie für nach dem Krieg verurteilte Nazi-Kollaborateure wieder aufgeflammt. Nach 1944 mußten sich fast 500.000 Menschen, etwa jedeR 20. BelgierIn, wegen Kollaboration vor der Justiz verantworten. Einige tausend wurden zu langjährigen Haftstrafen und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Noch heute sind rund 600 Menschen die Bürgerrechte aberkannt. Sie sind von den Wahlen und von etlichen Sozialleistungen ausgeschlossen. Jetzt ist die Diskussion um eine Amnestie wieder angefacht worden – durch einen für Außenstehende eher unauffälligen Satz König Alberts II. von Belgien: „Im Rahmen der Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben der Sprachgruppen muß über Maßnahmen zur Versöhnung der Bürger nachgedacht werden.“ Der Vlaams Blok, der Rechtsaußen unter den flämischen Parteien, jubelte, wallonische Sozialisten protestierten, und der christdemokratische Premierminister Jean Luc Dehaene will das Thema auf die politische Tagesordnung setzen.

Die Diskussion ist verkrampft, weil sie das schwierige Verhältnis von Flamen und Wallonen berührt. Kollaboration gab es auch im französischsprachigen Wallonien – der bekannteste Naziverehrer Belgiens war der Anführer der sogenannten Rexisten-Partei, Leon Degrelle. Vor allem im flämischen Teil aber hatten die Nazis viele bereitwillige Helfer, die sich von einer Neuordnung Europas ein Ende der wallonischen Dominanz erhofften. Nach der Befreiung rächten sich die überwiegend wallonisch besetzten Behörden, indem sie gegen die flämischen Kollaborateure besonders hart vorgingen. Vor allem flämische Nationalisten fordern seither eine generelle Amnestie. Im rechtsextremen Vlaams Blok gibt es Tendenzen, die Kollaborateure zu Märtyrern hochzustilisieren.

Dabei sind fast alle Parteien, auch die wallonischen, bereit, den paar Überlebenden nach einem halben Jahrhundert die bürgerlichen Ehrenrechte zurückzugeben. Sie wehren sich aber gegen eine generelle Amnestie. Den Opfern von damals dürfe nicht ein zweites Mal Unrecht widerfahren, meinen etwa die Sozialisten.

Die christlichen Volksparteien allerdings stehen unter dem Druck der Rechtsextremen. Schon will die flämische CVP des Premierministers Dehaene, der die Wähler reihenweise nach rechts weglaufen, die Amnestie zum Wahlkampfthema machen. Seine wichtigsten Koalitionspartner, die wallonischen Sozialisten, können sich zur Zeit nicht wehren. Sie sind damit beschäftigt, eine Schmiergeldaffäre in Vergessenheit zu bringen, über die die halbe Parteispitze gestolpert ist. Alois Berger

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