■ FernsehTip: Verdammt lang her!
„Der Traum vom rechtsfreien Raum“, heute, 22 Uhr, arte.
Wie in einem nervösen Traum fährt die Kamera mit der U-Bahn- Linie 1 durch das Spekulanten- Kreuzberg von 1980: Wo heute geleckt modernisierte Fassaden zu sehen sind, soll noch einmal ein Trümmerhaufen entstehen. Trotzdem gleitet Eckhardt Lottmann- Bender in seiner Dokumentation „Der Traum vom rechtsfreien Raum“ nicht einfach zurück in die Legende des „Häuserkampfs“. Der erste eingefrorene Moment, mit dem sich die angestauten Erinnerungen, wenn schon nicht verarbeiten, so doch wenigstens wiederholen ließen, bleibt eine Ausnahme. Der früher zum Kollektiv der Berliner Medienoperative gehörende Filmemacher hat ehemalige BesetzerInnen zu ihrem Lebenswandel mit und seit dem Häuserkampf befragt. Aus einer Distanz, die manchmal durchaus solidarisch wirkt, portraitiert er sechs unterschiedliche Karrieren von der klassischen Punkrockerin, die früher bei den Ätz-Tussis Gitarre spielte und jetzt Ballett unterrichtet, bis zum ein- und aufgestiegenen Alternativ-Unternehmer oder dem immer noch nicht entutopisierten Kiez-Künstler.
Über den mißliebigen Werdegang der Geschichte macht sich niemand mehr Illusionen. Symbolträchtiges wie das „Kuckuck“- Haus wurde bereits vor einem Jahrzehnt gewaltsam geräumt, die meisten legalisierten Häuser haben ihren politischen Anspruch längst eingebüßt. Die Zersplitterung in lauter Privatleben läßt selbst unter kollektivierten Gruppen keine übergreifenden Debatten mehr zu. Ebenso wie die Kiez- BewohnerInnen zunehmend vereinzeln, kann auch Lottmann-Bender am Ende nur von Einzelschicksalen berichten. Ab und zu sind sich noch einmal alle einig: Den Tod von Jürgen Rattay hätte auch Innensenator Lummer nicht überleben dürfen. Zumindest politisch.
Sehr genau schneidet Lottmann- Bender die Erfahrungsberichte mit O-Tönen aus SFB und Privatmaterial gegen, bis hin zu einem späten Kommentar Heinrich Lummers, der sich ein Theaterstück zur Geschichtsbewältigung wünscht, aber „nicht gleich eine Tragödie, da kann man ja auch etwas Komisches drin erkennen“.hf
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