: Absehbares Ende einer unendlichen Geschichte?
■ Nach einem Jahrzehnt glorreicher Erfolge droht dem famosen AC Milan wieder einmal von der Justiz her die Rote Karte / Eine Sonderkommission ermittelt gegen Vereinschef wegen Steuerbetrugs Aus Mailand Werner Raith
Daß die Mailänder von ihrem AC Kummer gewohnt sind, vermerken die Historiker seit Anbeginn der Vereinsgeschichte. In den letzten Jahren allerdings schien der Damm zum unentwegten Erfolg derart gebrochen, daß sich in der Lombardenmetropole längst niemand mehr vorstellen kann, jemand anderer als ihre „Rossoneri“ (Rotschwarzen) könnten in Italien irgendwann noch von irgendjemandem Schwierigkeiten bekommen. Doch nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder einmal.
Milans Bäume schienen schon oftmals in den Himmel gewachsen — und fanden sich alsbald mit wörtlich zerbrochener Krone wieder. Der „Milan Cricket and Football Club“ hatte schon zwei Jahre nach seiner Gründung 1899 — im übrigen nicht durch Italiener, sondern eine Handvoll notabler Gefolgsleute Ihrer Majestät ,der Königin Viktoria von England, — das damalige Championatsmonopol der Genueser gebrochen und wurde italienischer Meister,. Und sie wiederholten das kurz danach — 1906 und 1907, gleich zweimal in Folge. Auch damals deutete, schon wegen der mitunter mit geradezu atemberaubenden Ergebnisse (so etwa ein 20:0 gegen Casteggio 1906) alles auf jahrelange Überlegenheit hin. Doch wenige Monate nach ihrem dritten Titel ging es los — es kam zum bösen Streit nicht nur wegen der selbstherrlichen Vereinsführung, sondern auch um die Beschäftigung ausländischer Kicker: Eine Gruppe von Internationalisten trat aus und gründete den bis heute in unversöhnlicher Konkurrenz zum AC stehenden „Football Club Internazionale Milano“, Vereinsfarbe Schwarzblau. Eine Sezession, die der AC Milan bis in die 50er Jahre nicht überwand, zumal Inter (während des Faschismus unter Besetzung des Stadtheiligennamens „Ambrosiana Inter“ genannt) nicht nur Meistertitel, sondern auch den Konsens der Mailänder entführte. Erst 1951 kamen die — mittlerweile in „Associazione Calcio Milan“ und mithin zum AC umgetauften Rotschwarzen endlich auf Touren und errangen wieder einen Meistertitel, dank des Trios Nordhal, Liedholm, Gren, die unter der Abkürzung Gre-No-Li zum Kampfruf wurden. 1955, 57, 59, 62 — alles Milan-Jahre, und das war nur der Anfang: 1968-1972 räumten die Mailänder so ziemlich alles ab, was zu gewinnen war, von Pokal- über Meisterschaftstitel bis zum Europacup der Meister und (1969) den Interkontinentalen Coup. Es waren die Jahre, in denen Karlheinz Schnellinger den berüchtigten „Riegel“ organisierte, der freilich nach der Meinung vieler Experten am Ende zum Totengräber aufregenden Fußballes wurde, weil kaum mehr spektakuläre Tore und schon gar keine torreichen Partien mehr zu sehen waren. Auch der „Goldene Junge“ Gianni Rivera feierte damals Triumphe — bis heute ist er, mittlerweile in die Politik gegangen, ein Mythos geblieben.
Nichts und niemand schien damals gegen die „Milanisti“ mehr anzukönnen — doch da kam wieder einmal der tiefe Fall. Staatsanwälte deckten einen gigantischen Toto-Schwindel auf, in den Mailands Kicker wie Manager handfest verwickelt waren. Der Verein wurde in die 2. Liga herabgestuft. Nur mühsam gelang der Wiederanschluß an die Spitze, Anarchie herrschte in der Führung, Leere in den Kassen — bis einer auftauchte, der die „rotschwarzen Teufel“ für einen Appel und ein Ei aufkaufte und der sie aus dem Schlamassel herauszuholte: der Senkrechtstarter Silvio Berlusconi.
Der hatte zu Beginn der 80er Jahre neben seinem Bau-Imperium auch bereits das Privatfernsehen Italiens zu beherrschen begonnen war zum einflußreichen wirtschaftlichen Gönner und umgekehrt politischen Günstling des Sozialistenchefs und — von 1983-87 regierenden — Ministerpräsidenten Bettino Craxi geworden.
Schwindelerregende Summen wurden für Topstars auf dem Rasen hingelegt — Gullit und Van Basten, dazu der (mittlerweile zum Nationalcoach avancierte) Sacchi als Trainer, kamen zum AC Milan, für den bis dahin eher unbekannten Lentini soll Berlusconi bei den Abwerbegesprächen in Turin gar umgerechnet an die 80 Millionen DM hingelegt haben; offiziell waren es freilich „nur“ etwas über 30.
Nur eine einzige Mannschaft schaffte es Ende der 80er Jahre noch einmal, die Meisterschaftsserie Mailands zu gefährden und einmal sogar zu unterbrechen — die eher provinziellen Neapolitaner, die aber mit dem Argentinier Maradona einen selbst für Gullit und Van Basten unknackbaren Wirbelwind und dazu eine mitreißende und durch nichts zu trübende Fangemeinde vorwiesen.
Doch nun, nach dem erneuten Meisterschaftsgewinn in Serie, scheinen gerade die Riesenkäufe Berlusconis den Verein wieder in schwere See zurückzulenken: Ermittlungsrichter haben Witterung aufgenommen, seit der ehemalige Präsident des AC Turin von einer „doppelten Buchführung“ bei Milan gemunkelt hat — zu den 30 offiziellen Millionen sei, so Mauro Borsano, noch etliches über Konten in Liechtenstein und Lugano geflossen, und zwar auch an ihn als Clubchef; überdies habe er, in Finanznot, Aktien seines Vereins an Berlusconis Holding fininvest abgetreten gehabt. Ermittlungsrichter Gherardo Colombo, einer aus der Schmiergeld-Sonderkommission „Saubere Hände“, hat Lentini bereits vernommen. Seither zittern Vereinsführung und vor allem der Clubeigner Berlusconi, möchte er doch, eben in die politische Bütt gestiegen, allzugerne in der nächsten Regierung sitzen.
Zufrieden kann über die Entwicklung nur einer sein, dem Milan sehr viel verdankt — Gianni Rivera. Der „Golden Boy“ war noch in den 70er Jahren zum Vizepräsidenten des AC aufgestiegen, dann aber im Streit um Berlusconis draufgängerische Spielerkäufe ausgeschieden. Muß Berlusconi wegen Finanzmanipulationen ausscheiden, hat Rivera beste Chancen, die Führung des Vereins erneut und diesmal ganz zu übernehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen