: In der Höhle des Löwen
■ Gerold Janssen kämpft auf der Siemens Hauptversammlung um Uni-Ost
„Ich komme aus Bremen, einem der finanzschwächsten Länder und genau das ist das Problem.“ Gerold Janssen steht im Nadelstreifenanzug am Rednerpult und legt los. „Ich als Wirtschaftsprüfer und Umweltschützer vermisse im Geschäftsbericht in Sachen Umweltschutz eine vorausschauende Standortpolitik“. Janssen, Bremer Streiter gegen die Siemens-Ansiedlung auf dem Gelände Uni-Ost, hat sich mit einigen Siemens-Aktien das Rederecht auf der jährlichen Hauptversammlung der Siemens AG erkauft. Gerold Janssen tut in München, wofür er in Bremen beliebt und berüchtigt ist: Er geht den Leuten, die das Sagen haben, auf die Nerven.
Die Münchner Olympiahalle ist mit mehr als 5100 Besuchern schon morgens um zehn gut gefüllt. In der Arena, in der sonst Placido Domingo Arien schmettert oder der EC Hedos Puks schleudert, sitzen Herren in dezentem Grau und Business-Frauen im teuren Kostüm dicht an dicht. Die „große Siemens-Familie“ ist aus ganz Deutschland angereist, um Vorstandsvorsitzendem Heinrich von Pierer bei seinen Ausführungen zum vergangenen Geschäftsjahr zu lauschen.
Doch nicht alle sind nur aus andächtiger Verehrung gekommen. Die ersten „kritischen Aktionäre“ werden als Redner angekündigt. Man kennt sich schließlich aus den letzten Jahren und kann schon mal vorsorglich die Halle verlassen, mit Kernkraft will sich die Mehrzahl der Anteilseigner nicht beschäftigen. Doch noch warten sie, der nächste Redner aus Bremen ist nicht berüchtigt.
Janssen ist gut präpariert. Er hat den Geschäftsbericht genau studiert und findet, daß „Siemens keine zeitgemäße Zielsetzung im Umweltschutz“ hat. Und in der Tat scheinen die 290 Millionen Mark für den Umweltschutz wie der Portokasse entliehen. Der Konzern machte immerhin einen Umsatz von rund 81,6 Mia Mark. Das führt Janssen direkt zur Situation in Bremen und Uni-Ost. Geduldig erklärt er Vorstand und Ausichtsrat nochmal die drohende Naturzerstörung im geplanten Technologie-Park. Eigentlich müßten von Pierer und Kollegen längst wissen, was sie in Bremen anrichten wollen, hat Jansen ihnen doch schon vor einem halben Jahr „eine umfangreiche Dokumentation“ geschickt. Doch „Pierer hat meine Fragen bis heute nicht beantwortet“, trotzt Janssen dem auf der futuristischen Empore erhöhten Vorstand und fordert jetzt die Antworten.
Soviel zivilen Ungehorsam waren die Saalsitzer bislang nicht gewohnt und verlassen scharenweise die Halle. Doch Janssen beeindruckt das überhaupt nicht: „Ich rede nicht lange, Sie können mir ruhig zuhören“. In einer Viertelstunde bringt er seine Einwände gegen den Bebauungsplan und Kompromißvorschläge auf den Punkt.
Die Antworten vom großen Vorsitzenden lassen dann noch lange auf sich warten. Aber Janssen sagt: „Ich habe Zeit“. Nervös sei er nicht gewesen, nicht mal ein Manuskript habe er gehabt. Und dann, nach stundenlangen Ausführungen zur Bilanz bemüht sich der mächtigste Mann im Saal doch auf die drängenden Fragen des Bremer Querulanten einzugehen. „Wir sind weiter gesprächsbereit“ verspricht von Pierer und beschwört ansonsten in drei Minuten wieder die Sicherung der Arbeitsplätze und zitiert die Zustimmung von Bürgerschaft und Senat. Janssen hat einen langen Atem. Bis zum Abend muß der Siebzigjährige auf seine zweite Redezeit warten. Und von Pierer gibt auch dann keine berfriedigerenden Antworten, schiebt Umweltsenator Fücks vor. Den ganzen Nachmittag über haben kritische Aktionäre den „Atomkonzern Siemens“ kritisiert und den Ausstieg aus der „Steinzeit-Technologie“ gefordert.
Janssen und andere sind überzeugt, daß „Vorstand und Aufsichtsrat beeindruckt sind“. Ob die Wirkung auf sie wirklich so „gewaltig“ war, wird sich zeigen. Ein Münchner war es zumindest: Er gab Janssen seine drei Stimmkarten, um gegen den Vorstand zu stimmen. „Ich schäme mich, Siemens-Aktionär zu sein“. Immerhin noch einer.
Ulrike Fokken
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