piwik no script img

Der Große Gretzky

Eishockey-Superstar Wayne Gretzky auf der mühseligen Jagd nach Gordie Howes Torrekord der NHL / Es fehlen noch vier verflixte Treffer  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Das Toreschießen ist Wayne Gretzky längst zur zweiten Natur geworden, doch so schwer wie im Augenblick ist es dem 33jährigen nicht mehr gefallen, seit er als Sechsjähriger in einer wesentlich älteren Mannschaft fast eine ganze Saison benötigte, um seinen ersten Puck ins gegnerische Netz zu schmettern. Fünf Jahre später verblüffte er die Eishockey-Welt schon mit 372 Treffern für die Branford Steelers aus Ontario während einer Spielzeit, danach schickte er sich an, viermal den Stanley-Cup zu gewinnen und sämtliche Rekorde der nordamerikanischen Liga NHL zu brechen. Die Statistiker zählten bislang 60 Bestmarken, doch die wichtigste fehlt noch: der lange Zeit für unantastbar gehaltene Torrekord des legendären Gordie Howe, der in den 26 Jahren seiner Karriere 801 Tore geschossen hat. Gretzky spielt erst fünfzehn Jahre in der NHL, und doch fehlen ihm nur noch vier Treffer, um Howe zu überholen.

Diese Aussicht läßt selbst dem erfolgsgewohnten Mann mit der Nummer 99 Schläger und Beine schwer werden. Am 2. März traf er zum 798. Mal in seiner Karriere und zum 33. Mal in dieser Saison. Seitdem ist Ebbe, und die unzähligen Kamerateams, die den großen Moment nicht verpassen wollen, schleppen ihre Ausrüstung vergeblich von Halle zu Halle. Fünf der nächsten sieben Matches von Gretzkys Los Angeles Kings sind jedoch Heimspiele, und die Chancen stehen nicht schlecht, daß die heiße Jagd bald ein Ende findet.

„Weckt mich, wenn es vorüber ist“, sagt „The Great One“, der Perfektionist, der sogar heute noch seine Unterschrift übt, um die Autogrammjäger nicht zu enttäuschen. „Mein Vater hat mir immer gesagt“, erzählt er, „daß die Leute, wenn sie dein Autogramm wollen, kein Hühnergekratze verdienen.“ Aber: „Autogrammegeben ist der leichte Teil; Toreschießen dagegen ist schwerer, als die Leute denken.“ Gretzky gibt zu, daß ihn der Trubel um das vermaledeite 802. Tor nervös macht: „Vielleicht bin ich zu aufgeregt darüber.“ Und auch den Kings, die in dieser Saison alles andere als glänzend dastehen, tut die Rekordjagd nicht gut. Symptomatisch eine Szene im mit 4:6 verlorenen Spiel bei den Boston Bruins, als der Finne Jari Kurri in glänzender Schußposition versuchte, den am Pfosten postierten Gretzky anzuspielen. Der Puck wurde abgefangen.

Obwohl Wayne Gretzky wieder souverän mit weit über hundert Punkten in der Scorer-Wertung der NHL führt, droht ihm ein anderer Rekord in diesem Jahr verloren zu gehen, und zwar jener, auf den er nach eigenem Bekunden „am stolzesten“ ist: Noch nie hat er – erst mit den Edmonton Oilers, dann mit den Los Angeles Kings – die Play-offs verpaßt. „Das würde mich umbringen.“ Doch derzeit stehen die Kings in ihrer Pacific Division mit gerade mal 22 Siegen auf dem vorletzten Platz hinter Teams wie den San José Sharks und Walt Disneys watschelnden Enten aus Anaheim. Schlechter als Los Angeles stehen in der gesamten NHL nur Edmonton, Winnipeg und Ottawa, während beispielsweise die New York Rangers bereits 43 Siege gesammelt haben. Peinlich für die Kings, die im letzten Jahr dank der 40 Play-off-Scorerpunkte des überragenden Gretzky noch im Stanley-Cup-Finale standen, wo sie die Serie gegen die Montreal Canadiens mit 1:4 verloren.

Damals hatte es so ausgesehen, als ob das Karriereende des großen Gretzky, der einen erheblichen Teil der Saison wegen einer Rückenverletzung verpaßt hatte, unmittelbar bevorstünde. In 16 Spielen gelang ihm nach seiner Genesung kein Tor. „Damals wurde ,groß‘ zu ,gut‘“, erinnert sich Gretzky. „Ich war nur noch 'The Good One‘“. Doch auch als in den Play-offs die Rückverwandlung in „The Great One“ erfolgte, trug er sich mit Rücktrittsgedanken. „Das ist die größte Enttäuschung meiner Karriere“, klagte er nach der Niederlage gegen Montreal und kündigte an, daß er nun mit seiner Frau über die Zukunft sprechen werde. Die Besprechung verlief positiv für die Kings, Gretzky machte weiter und schloß erst kürzlich einen neuen Dreijahresvertrag ab, der ihm 25,5 Millionen Dollar einbringt. „Astronomisch und ein bißchen aus den Fugen“, sei diese Summe, so Gretzky, der im Gegenzug eine anhaltende Torflut versprach: „Ich beabsichtige, die 900 zu jagen.“ „Ich hoffe, er bringt es auf tausend“, ergänzte Kings-Coach Barry Melrose optimistisch.

Wenn es nach Gordie Howe geht, wird Gretzky auch fast tausend Tore brauchen, um Rekordhalter zu werden. Der ehemalige Goalgetter der Detroit Red Wings und Hartford Walers gibt sich nämlich nicht geschlagen. Er besteht darauf, daß seine 174 Treffer in der Junior-Liga World Hockey Association (WHA) mitgezählt werden. Dort hatte Gretzky nur eine Saison für die Indianapolis Racers gespielt und 46 Tore erzielt. „Ich werde in keine Kontroverse mit Gordie einsteigen“, erklärte Gretzky weise. „Er hatte jene Ära, und ich habe diese.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen