■ Bücher.klein
: Politiklust?

Was ist das Gegenteil von Verdrossenheit? Daß man von einer Sache angetan ist, eine Steigerung wäre dann Begeisterung. Aber „Lust“, dann auch noch „Politiklust“ trotzig der Verdrossenheit entgegenzusetzen, wie dies Herausgeberin Gabriele von Arnim in einem gleichnamigen Knaur-Taschenbuch tut? Wo doch die Verdrossenheit geradezu zum deutschen Geisteszustand gehört! Wo doch die Deutschen auf solch hohem Niveau zu jammern pflegen und dies „mit Lust“ (Ignatz Bubis). Man könnte das so vollmundig als Manifest daherkommende Büchlein auseinandernehmen wie eine Weihnachtsgans, könnte den schönen Titel und die teilweise belanglosen wie auch nicht miteinander verknüpften Texte kritisieren. Man könnte sich über den pastoralen Ton der Herausgeberin lustig machen, die viel von „Lust am Machen“, von „Denklust“, Sich-Einmischen, Zivilcourage, Menschlichkeit, vom „trotzigen Dennoch“ und dem „kleinen alltäglichen Mut“ schreibt. Hätte sie nicht Recht. Noch nie schrie alles so nach Veränderung und wird nichts getan wie heute. Dabei gerade beim Einzelnen und im Alltag anzusetzen, bleibt interessanterweise den Autorinnen wie etwa der Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser (ein Lob des Ungehorsams) und der Filmemacherin Katrin Seybold (eine Auseinandersetzung über die Nazi- nahe Mutter) überlassen. Die Männer setzen sich mit dem großen Ganzen auseinander, mit der Frage etwa, ob wir belogen werden wollen? Was aber wäre, würden Politiker die Wahrheit sagen (Herbert Riehl-Heyse)? Dem Volk ist vieles zuzumuten, besonders die Wahrheit, so seine Antwort. Zynisch sei nicht, so Rainer Lingenthal, daß die Politik keine perfekten Lösungen anbiete, sondern daß sie die Probleme nicht auf der Höhe der Probleme angehe. Jens Reich prägt hierfür den Begriff der „Zukunftsvergessenheit“. Dieser Mangel an Konzepten, an Visionen, was wir in und mit dieser Gesellschaft wollen, scheint auch für Erhard Eppler symptomatisch für den Politikverdruß. Er setzt dem heruntergekommenen Verwaltungs- Regieren (politics) die policy als Gesellschaftsentwurf entgegen und sieht hoffnungsfroh in die Zukunft. „Politikverdruß ist nicht das letzte Wort, sondern das vorletzte.“

Von Weizsäckers Äußerungen zur „Krise der Politik“ nehmen zu Recht im Beitrag von Norbert Seitz einen großen Platz ein: Wo bleiben heute vergleichbare Memoranden wie das Tübinger, wo ist eine hochschulpolitische Schrift, die es mit der Picht- Studie aus den 60ern aufnehmen könnte, wo bleibt das Gewerkschaftssymposium zur „Zukunft der Arbeit“, vergleichbar dem IG-Metall- Kongreß zur Lebensqualität Anfang der 70er? Da wirkten starke gesellschaftliche Impulse in die Politik. Anders geht es nicht. AS

Gabriele von Arnim (Hrsg.): „Politiklust“. Knaur TB München 1994, 240 Seiten, 12,90 DM.