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Es waren elf Freunde

Was am Todestag von Marx an der Londoner Pilgerstätte Highgate noch so los ist  ■ Von Tom Levine und Christian Nialki (Fotos)

Von dem großen grauen Granitblock auf dem Londoner Highgate-Friedhof blickt streng ein bärtiger, langhaariger Kopf herunter. „Mama, guck mal! Ist das Gott?“ fragt ein kleines Mädchen.

Der aber ist es gerade nicht. Wer da guckt, gilt eher als der Antichrist persönlich: Karl Marx, der 1883 auf dem geschichtsschwangeren Gräberfeld von London beerdigt wurde. Das Monument, 1956 für den Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus errichtet, ist eine Pilgerstätte geblieben; gerade am 14. März, wenn sich sein Todestag jährt.

Früher brachten diese Märztage immer unangenehmen Aufruhr für die Vorsitzende des ehrenamtlichen Vereins, der die Geschicke von Highgate verwaltet. Mrs. Jean Pateman, ganz von feiner, britischer Art, hatte dann jeweils mit den Botschaftern relativ aller kommunistischer Staaten ein gestrenges, sehr bestimmtes Wort zu reden, denn: Politische Zeremonien sind nicht erlaubt, Gruppen über 25 Personen dürfen das Tor zum Friedhof nicht passieren. Unter den Augen Trenchcoat-bewehrter MI5-Geheimdienstler wurden denn in einem fort Blumengestecke abgelegt, Reden gehalten, die Jungen Pioniere aus der DDR sangen vielleicht ein Lied, und den ganzen Tag parkten Diplomatenkarossen vorm Friedhofstor.

Die Welt hat sich verändert, gepilgert wird immer noch. Im vergangenen Jahr, zum 110. Todestag, irrte sich die Türkische Kommunistische Partei (TKP/ML) im Datum und kam schon einen Tag früher. Richtig offiziell ist heutzutage nur noch die Marx Memorial Library, die Marx-Gedächtnis- Bibliothek hier. Sie verwaltet das Grab und Marx' Stammplatz im Britischen Museum.

Bill Alexander, dereinst Kommandeur der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, hält eine kurze Rede. Ein kleines Häufchen aufrechter Sozialisten kommt, der Generalsekretär der britischen Kommunisten gibt sich die Ehre, die arg geschrumpfte Phalanx der kommunistischen Botschafter ist – unvollständig – angetreten. Der Geheimdienst MI5 hat noch nicht mal Blumen geschickt.

Die meisten Besucher verbindet kein kämpferischer Bund mit dem Ideologie-Begründer, sondern Sentiment. Ein Londoner läßt sich hier inspirieren, ein Ehepaar aus Leipzig – verzagt von der Kälte des Kapitalismus – sucht den warmen Odem der Geschichte.

Der macht, daß man hier so schön sinnieren kann, über die elfte Feuerbachsche These zum Beispiel. Die ist in großen Buchstaben in den Granit gemeißelt und so manchem Deutschen aus Berliner Studienzeiten geläufig: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“

Der Pilgerstrom ist ein wenig dünner geworden. Zu Marx' Todestag wird nicht einmal mehr das Hundert an Besuchern voll; das sei, wie es beim Friedhofstor heißt, nicht viel mehr als an anderen Tagen auch. Vielleicht ist aber der Grabbesuch am Todestag für die wenigen, die kommen, dadurch etwas viel Persönlicheres. Das zumindest hätte wieder Tradition: Denn als Karl Marx 1883 unweit des heutigen Grabes beerdigt wurde, da hielt Friedrich Engels seine Grabrede vor einer recht kleinen Schar von Freunden: Insgesamt waren es elf.

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