: Keine UNO-Resolution zu Kaschmir
■ Pakistanische Niederlage vor der Menschenrechtskommission in Genf
Delhi (taz) – In den vergangenen sechs Wochen haben sich Indien und Pakistan ein weiteres Mal eine erbitterte Auseinandersetzung um Kaschmir geliefert, die schließlich mit einer Niederlage Pakistans endete. Schauplatz war diesmal allerdings nicht die umstrittene Himalaya-Region selber, sondern das neutrale Genf, wo die UNO-Menschenrechtskommission zu ihrer Sitzung zusammengetreten war.
Pakistan hatte dort eine Resolution zur Abstimmung unterbreitet, in welcher Indien schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt wird. Eine Untersuchungskommission vor Ort müsse das Ausmaß dieser Eingriffe bestimmen, forderte Pakistan. Indien stellte sich kategorisch dagegen. Es betrachtet solche Verletzungen als – bedauerliche – Konsequenz der Infiltration von „Freiheitskämpfern“ aus Pakistan, mit denen Islamabad im Kaschmirtal eine Bürgerkriegssituation schaffen will, damit ihr dieser Zankapfel schließlich wie eine reife Frucht in den Schoß fällt.
Nach langen Rededuellen beider Delegationen und einer intensiven Bearbeitung aller 53 Mitglieder hinter den Kulissen zog Pakistan am Mittwoch schließlich seinen Antrag zurück. Zunächst hatten die westlichen Länder Stimmenthaltung angezeigt, dann bekamen die meisten islamischen Länder, schließlich auch Pakistans Verbündete China und Iran kalte Füße, als es darum ging, Menschenrechtsverletzungen als Mittel politischer Konfliktaustragung zu benutzen.
Die innenpolitischen Folgen dieser Niederlage dürften in Pakistan nicht lange ausbleiben. Noch am gleichen Tag forderte die Opposition den Rücktritt des Außenministers, und Verbündete der Regierungskoalition gingen auf Distanz zu Premierministerin Benazir Bhutto. Daß der Rückzug des Resolutionsentwurfs überhaupt als Niederlage eingestuft werden muß, hat sich diese selber zuzuschreiben. Bhutto war die Eröffnungsrednerin der diesjährigen Session gewesen und hatte die Situation in Kaschmir mit den Pogromen der Nazizeit verglichen. Sie ließ keinen Zweifel an ihrer Absicht, über den Umweg der Menschenrechte die Kaschmirfrage wieder vor die UNO-Generalversammlung zu bringen, um dann mithilfe der Resolutionen aus dem Jahre 1948 von Indien ein Plebiszit in Kaschmir zu erzwingen, das den Gliedstaat schließlich in pakistanisches Hoheitsgebiet überführen würde. Während der vergangenen Wochen sagten die Medien täglich einen sicheren Schuldspruch Indiens durch die Menschenrechtskommission voraus. Oppositionsführer Sharif wird den Rückzug der Resolution nun zweifellos als Startschub für eine Kampagne gegen Bhutto nehmen.
Daß es nicht zu einem Schuldspruch Indiens kam, war weitgehend der aggressiven indischen Diplomatie zu verdanken, welcher zu Hause in seltener Einmütigkeit von Öffentlichkeit und Parlament der Rücken gestärkt wurde. Delhi hatte bereits vor Monaten die steigende internationale Unruhe bezüglich Menschenrechtsverletzungen zur Kenntnis genommen. Die Einsetzung einer Menschenrechtskommission sollte dem entgegenwirken. Erstmals erklärte sich die Regierung auch bereit, Menschenrechtsorganisationen den Zutritt nach Kaschmir zu gewähren, und in den vergangenen Wochen reisten zwei Delegationen von in Delhi akkreditierten Botschaftern nach Srinagar.
Von besonderer Bedeutung war die entsprechende Einladung an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das seit Jahren vergeblich darauf wartet, Gefangenenbesuche zu organisieren.
In Genf kam der indischen Delegation vermutlich die Krise im ehemaligen Jugoslawien zustatten. Eine Sezession Kaschmirs könnte das ethnische und religiöse Auseinanderbrechen des Subkontinents auslösen; im Vergleich dazu würde „der Krieg in Bosnien wie eine Tea-Party“ aussehen, sagte ein Beobachter.
Während dieses Argument vor allem auf die westlichen Länder gemünzt war, fürchteten Drittweltländer – insbesondere China und Iran –, daß Menschenrechte zunehmend zu einem Mittel der Einmischung in innere Angelegenheiten werde und damit zu einer Waffe der internationalen Politik. Die Einsetzung einer Untersuchungskommission könnte dabei einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Bernhard Imhasly
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