: „Deutschland ist schuld“
■ Friedensforscher Johan Galtung fordert einen „blauen Teppich“ in Bosnien
„Wenn jemand am Krieg in Bosnien schuld ist, dann Hans-Dietrich Genscher.“ Diesen schweren Vorwurf gegen den ehemaligen Bundeaußenminister erhob am Samstag der norwegische Friedensforscher Johan Galtung bei einem Pressegespräch an der Bremer Universität. Genscher habe durch die schnelle Anerkennung des Staates Bosnien-Herzegowina die Eskalation des Konfliktes herbeigeführt, weil er voller Idealismus den BosnierInnen die Selbstbestimmung bringen wollte. „Aber Selbstbestimmung funktioniert nicht in einem Staat, in dem die Hälfte der Bevölkerung nicht leben will.“. Überhaupt, so Galtung, sei die deutsche Politik im Bosnien-Konflikt geprägt von einer „haßerfüllten anti-serbischen Haltung.“
Das Bild von einem multikulturellen Staat Bosnien, in dem die Volksgruppen zusammen gegen die serbische Aggression kämpften, nannte der renommierte norwegische Friedens- und Konfliktforscher eine „Fiktion“. Galtung lehrte in den siebziger Jahren an der Universität in Dubrovnik. Auch in Bosnien hätten Kroaten, Serben und Muslime friedlich nur unter Druck der Zentralregierung zusammengelebt. „Der Konflikt war unausweichlich, er ist sowohl Aggressions- als auch Bürgerkrieg und er wird immer wieder gekämpft, als Rache für die Vergangenheit.“ Voll in diese Kerbe hat nach Galtungs Ansicht die Anerkennung Bosniens durch Deutschland geschlagen: „Das geschah am 6.April 1992. Ein schlechteres Datum hätte es nicht geben können: Am 6.April 1941 haben die Nazis Belgrad durch Bomben zerstört.“
Trotz der Waffenruhe in Sarajevo sei die Lage in Bosnien „schlimmer als je zuvor“, meinte Galtung. Galtung forderte die „zehnfache Menge an Blauhelmen, es sollte in Jugoslawien einen blauen Teppich zwischen den Konfliktparteien geben.“ Statt junger, schlecht informierter Soldaten sollten Polizisten aller Altersklassen und besonders Frauen in das Kriegsgebiet geschickt werden. Eine „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa“ müßte so schnell wie möglich zusammentreten und die Friedensarbeit nicht mit „Hitler, Stalin und Mussolini“ in Genf, sondern mit den Menschen in Bosnien begonnen werden. bpo
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