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Freud und Leid für den Spiritus rector

Antje Vollmer und Joschka Fischer wurden SpitzenkandidatInnen auf der Bundestagswahlliste der hessischen Grünen / Kleinert scheitert an Newcomer Matthias Berninger  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Langgöns (taz) – Der Shooting- Star bei Bündnis 90/Die Grünen in Hessen heißt Matthias Berninger. Der 23jährige Student aus der nordhessischen Provinz wurde am Sonnabend auf dem Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen zur Aufstellung der Bundestagswahlliste in Langgöns bei Gießen auf den aussichtsreichen Listenplatz Nr. 4 gewählt. Der Favorit der Grünen Jugend Hessen (GJH) setzte sich in einer Kampfabstimmung mit 298 Stimmen gegen den Ex-Bundestagsabgeordneten und langjährigen Weggefährten Joschka Fischers, Hubert Kleinert (39), durch. Kleinert mußte mit nur 190 Stimmen eine unerwartete Niederlage hinnehmen. Noch während Berninger von den Youngsters auf dem Parteitag euphorisch gefeiert wurde, schlich Kleinert wie ein geprügelter Hund aus dem Saal: geschlagen von einem Kandidaten „mit Außenseiterchancen“, der in seiner schriftlichen Bewerbung um einen Listenplatz damit kokettiere, daß er, als Kleinert 1983 in den Bundestag eingezog, gerade mal „in der 6. Klasse gesessen“ habe.

Für den Spiritus rector nicht nur der hessischen Bündnisgrünen, Joschka Fischer (45), hielten sich auf diesem Parteitag deshalb Freud und Leid die Waage. Mit dem „Traumergebnis“ (Fischer) von 435 Stimmen (85,9 Prozent) wurde der hessische Umweltminister auf den ersten Männerplatz der Liste gewählt. Mit glänzendfeuchten Augen nahm Fischer die minutenlangen Ovationen seiner ParteifreundInnen und den obligatorischen Blumenstrauß entgegen.

Ein erfreuter Fischer auch schon kurz zuvor: Da hatte Wunschkandidatin Antje Vollmer (50) mit 282 Stimmen im ersten Wahlgang ihre Konkurrentinnen Brigitte Sellach aus Frankfurt/ Main (73 Stimmen) und Marina Steindor aus Marburg (127 Stimmen) auf die Plätze verwiesen. „Das werde ich den Hessen nie vergessen“, versprach eine überglückliche Antje Vollmer nach ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin der hessischen Bündnisgrünen für die Bundestagswahlen. Der Ex- Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen war im Vorfeld der grünen Listenparteitage „klargemacht worden“, daß sie es „nicht wagen“ sollte, bei den linksgestrickten Bündnisgrünen in NRW anzutreten.

Zur tragischen Figur wurde auf dem Parteitag die Ex-Staatssekretärin von Sozialministerin Iris Blaul, Brigitte Sellach (50). Die vor knapp zwei Jahren – nach Querelen innerhalb der rot-grünen Koalition aufgrund von Problemen bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Hessen – stellvertretend für die Ministerin aus dem Amt gedrängte Diplompsychologin kam bei ihrer Kandidatur für den dritten Listenplatz voll unter die Räder. Mit nur 46 Stimmen erreichte Sellach nicht einmal die Stichwahl. Auch Joschka Fischers Statthalterin in Bonn, die 46jährige Staatssekretärin Ulrike Riedel, schied schon im zweiten Wahlgang aus dem „Rennen“ um Platz 3 auf der Liste aus.

In der sich anschließenden Kampfabstimmung setzte sich dann – mit nur drei Stimmen Vorsprung – die dem „linken Flügel“ der realpolitischen Bündnisgrünen in Hessen zugeordnete Marina Steindor (37) gegen Joschka Fischers Wunschkandidatin Margareta Wolf (36) durch. Da wurde im Umfeld des Spiritus rector heftig mit den Zähnen geknirscht. Doch auch mit dieser Entscheidung, so Fischers Kommentar zum Spitzenquartett, könne und müsse man leben: eben mit „Oma (Vollmer) und Opa (Fischer), der vielleicht sperrigen Tante (Steindor) und dem Enkel (Berninger)“. Sollten die Bündnisgrünen bei den Bundestagswahlen sieben Prozentpunkte machen, würde mit „Enkel Berninger“ der jüngste Abgeordnete aller Zeiten in den Bundestag einziehen. Und falls Bündnis 90/ Die Grünen gar die 10-Prozent- Marke erreichen sollten, hat auch die amtierende Landesgeschäftsführerin Margareta Wolf, die mit überwältigender Mehrheit auf Platz 5 gewählt wurde, noch eine reelle Chance.

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