■ Nach der ÖVP sind nun auch die Sozis schwer angeschlagen: Haiders Fluch
Am Abend des 7. Oktober 1990 durfte die Regierungsriege der österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ) noch voller Inbrunst traditionelles Liedgut anstimmen: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde ...“. Kanzler Vranitzky schwieg schon damals. Feierte seine Partei doch zugleich das schlechteste Ergebnis bei Bundeswahlen seit 1966. Weil die konservative ÖVP immer weitaus mehr verlor als die SPÖ und die aufstrebenden Rechtspopulisten der FPÖ trotz Zugewinnen außer Sichtweite blieben, galt die Ära Vranitzky als Erfolgsstory. Stimmenverluste, Niederlagen, die Erosion an der Parteibasis, Verdrossenheit der Regierten – alle Malaise wurde verdeckt durch Vranitzky, den Strahlemann im Kanzleramt.
Seit Sonntag ist das anders. Bei den Landtagswahlen in Kärnten, Tirol und Salzburg hat es die SPÖ so schwer erwischt, daß selbst der Kanzler alt aussieht. Zu einem veritablen Desaster geriet der Urnengang in Kärnten: 8 Prozent Minus bei den Sozialdemokraten, die auf 37 Prozent abgesackt sind; die ÖVP konnte gerade 23 Prozent erreichen. Die FPÖ steigerte sich auf 33 Prozent und ist somit der SPÖ bereits gefährlich nahe gekommen.
Zwar mag am Sonderfall „Haider-Country“ niemand ernsthafte Bundestrends ablesen, aber gemeinsam mit den Ergebnissen von Tirol und Salzburg läßt sich dennoch ein Gesamtbild entwerfen: Die bislang schwer gebeutelte christdemokratische ÖVP konnte ihre Besitzstände leidlich verteidigen, die SPÖ verliert durchgehend, die FPÖ stabilisiert sich nach ihrer Krise des Vorjahres und legt sogar zu. Positiv ist allein das Abschneiden der Grünen. Freilich hat bei der Öko-Partei vor allem ihre Kritik an einem EU-Beitritt in den ländlichen oder vom Lkw-Transit betroffenen Milieus zu Buche geschlagen – Stimmen, die in den urban-industriellen Gegenden Ostösterreichs bei Nationalratswahlen wieder verlorengehen könnten.
In Österreich setzt sich der Erosionsprozeß der großen Parteien verstärkt fort. Nach dem Lemmingsmarsch der Volkspartei droht jetzt auch der Niedergang der SPÖ. Keineswegs gilt als ausgemacht, daß es dem Vranitzky-Wahlverein bei den Nationalratswahlen im Herbst noch einmal gelingen könnte, die 40- Prozent-Marke zu überspringen.
Kurskorrekturen sind dennoch nicht zu erwarten. Die Eigenart, Krisen durch bloßes Ignorieren zu meistern, wird wohl prolongiert. Vor allem, weil bis zur Volksabstimmung am 12. Juni der österreichische EU-Beitritt Thema Nummer eins bleiben wird. So kam denn auch vom Koalitionspartner ein wenig erbaulicher Ratschlag an den SPÖ-Vorsitzenden: „Ich kann der SPÖ, wenn nötig, mit einiger Erfahrung dienen“, scherzte ÖVP-Chef Erhard Busek, „wie man auch nach schwierigen Ergebnissen Kurs hält.“
Hinzu kommt, daß die beiden großen Parteien kaum in der Lage sein werden, unterscheidbare politische Projekte zu skizzieren, denn jedem ist klar, daß die SPÖ-ÖVP-Koalition nach den Herbst-Wahlen eine Fortsetzung findet. Dies ist der wirkliche Fluch Jörg Haiders: Weil mit ihm keiner regieren will und kann, müssen die beiden Großen miteinander und gegen ihn regieren. Für sie muß die Hoffnung, an Profil zu gewinnen, Wunschdenken bleiben. Ein fataler Zirkel: Auswege aus ihm wurden noch nicht gefunden. Österreich ist der Beweis, daß es um eine Regierung, der eine regierungsfähige Opposition fehlt, am Ende selbst schlecht steht. Robert Misik
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