■ Standbild: Untergrundbetreiber
„Ich sprühe, was mir gerade einfällt“, Di., 22.15 Uhr, B1
Die Berliner Verkehrsbetriebe haben sich längst entschieden: „Über Kunst kann man sich streiten – über Vandalismus nicht“, heißt es auf einem BVG- Plakat. Marina Bartsch-Rüdiger und Beate Moser wollen nicht so eindeutig Stellung beziehen. Die von ihnen portraitierten Berliner Graffiti-Künstler sprayen ganz legal auf Wänden der BVG, haben mittlerweile Graffiti-Zubehörläden eröffnet oder verdingen sich als Grafiker. Was bleibt, ist der qua Illegalität und entsprechender Bußgelder angehäufte Schuldenberg. Den Unbelehrbaren unter den Streetgrafikern wird indes die „Hall of Fame“ (ein Wandpark für Dosenkünstler) angepriesen, weil der vorausdenkende Sprayer dort Ruhe und Zeit fände, seine Bilder, Buchstaben und Characters auf Beton zu bannen. Drohend berichtet die Reportage von den Gefahren, denen sich illegale Zugbesprüher tatsächlich aussetzen, und vom immer wachen BVG-Sondereinsatzkommando. Immerhin bringen die Zeichnungen Reinigungskosten von über 15.000 DM pro Bahnhof für die Verkehrsbetriebe, die ganze 21 Graffitibeseitiger einstellen mußten.
Zwischenzeitlich schmiegt sich der Beitrag den empörten Untergrund-Betreibern an: Das ist doch eigentlich wirklich keine Kunst, das ist Geschmiere. Der richtige Ort, um Namen, Männchen, Bilder und Spuren zu hinterlasssen, ist für die Autorinnen dann doch eher der nächtlich verwaiste Rolladen vor dem „Kaisers“-Eingang und nicht der bekrittelte U-Bahn-Wagen. Die Möbelladenfront, und nicht die frisch geweißelte Neubauwand.
Die Täter werden hier als Globetrotter entlarvt, die nach ihrem monatlichen New-York-Trip die Dreckwäsche bei Mama lassen und sich in ihr Kinderzimmer zurückziehen, um die Buchhaltung ihres gutgehenden Dosenverkaufsunternehmens zu prüfen.
Im Bericht wird zudem eine Diskussion mit Kunstpädagogen der 68er-Generation gezeigt, die den Sprayern ihre Solidarität gegen jedwede jugendliche Abweisungen aufzwingen, da sie die jungen Männer gerne zu Trägern der Auflösung des kapitalistischen Eigentumsbegriffes stilisieren würden. Der Eindruck bleibt, daß Off-Kunst sehr gut mit der geil gesprayten, doch hoffnungslos eitlen Bezeugung des Individual-Graffitisten zusammengehen kann. Zumindest im Schutze männlicher Erziehergemeinschaften. Annette Weber
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