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Bei Jagd auf Juden Hand in Hand mit der Gestapo

■ Interview mit Arno Klarsfeld, einem der Anwälte der Nebenklage, zu dessen Behauptung, Touvier habe aus eigenem Antrieb, aus seiner antisemitischen Grundhaltung heraus, gehandelt

taz: Herr Klarsfeld, Sie haben sich durch die 30.000 Seiten umfassende Akte Touvier gearbeitet. In wessen Auftrag hat er an jenem 29. Juni 1944 gemordet?

Klarsfeld: Touviers Verteidigung vertritt den Standpunkt, die Frage sei, ob Touvier mit den Deutschen oder gegen die Deutschen gehandelt hat. Die Sache aber ist die, daß er aus eigenem Antrieb agierte – im Rahmen einer allgemeinen Komplizenschaft mit der Gestapo, mit der Nazi-Ideologie, mit der Ideologie von Vichy. Touviers Handeln zeigt einen virulenten Antisemitismus.

Wie kommen Sie zu der These von einer Eigeninitiative?

Das ist nicht einfach eine These. Im ganzen Dossier gibt es keinen einzigen Hinweis auf eine deutsche Intervention. Auch die beteiligten Milizionäre haben bei ihren Verhören 1944 und 1946 nichts dergleichen gesagt. Touvier hat sich so verhalten, wie die Miliz das nach dem Mord an Henriot auch an anderen Orten getan hat. Vergeltungsaktionen der Miliz gab es auch in Macon, Grenoble, Lyon.

Und warum hat Touvier Ihrer Meinung nach so gehandelt?

Er war Antisemit. Er hat gesehen, daß die Milizionäre sehr aufgebracht waren wegen des Mordes an Philippe Henriot. Und er hat gemeint, sieben Juden als Vergeltung seien da „normal“.

Andere Anwälte der Nebenklage sagen, daß eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Falle einer Eigeninitiative Touviers gar nicht möglich wäre. Denn das Gericht hat festgelegt, daß solche Verbrechen nur im Dienst einer Achsenmacht erfolgen konnten...

Es gab zwar keinen Befehl für Vergeltungsaktionen wegen des Mordes an Henriot. Aber die gesamte Entwicklung von Vichy hat Touvier ermuntert, so zu handeln. Das Vichy-Regime hat 1940 bestimmten Juden die Staatsangehörigkeit aberkannt, es hat Juden ins Lager nach Frankreich gebracht. In französischen Lagern sind Juden verhungert. Die französische Polizei hat jüdische Kinder unter 18 Jahren für den Transport nach Auschwitz abgeholt. All das war Voraussetzung dafür, daß Touvier die Initiative zu den Erschießungen ergriff. Er hat damit im Sinne der Deutschen gehandelt. Die Gestapo und die Miliz gingen Hand in Hand bei der Jagd auf Juden. Wir bewegen uns völlig im Rahmen eines Verfahrens wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn wir sagen, daß Touvier im Zuge einer allgemeinen Komplizenschaft mit Nazi-Deutschland zusammengearbeitet hat.

Dann steht in Versailles das Regime von Vichy vor Gericht?

Das Regime von Vichy war antisemitisch und fähig, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Ein Viertel der französischen Juden ist mit tatkräftiger Unterstützung des Vichy-Regimes deportiert worden. Aber die übrigen drei Viertel verdanken ihr Leben dem Widerstand der französischen Öffentlichkeit und der Kirche, nachdem die erfahren hatten, daß die Juden in den Tod gingen. Nach den großen Razzien vom Sommer 1942 war die Öffentlichkeit aufgewühlt, hohe Kirchenmitglieder stellten sich gegen die Deportationen. Regierungschef Pierre Laval sagte den Deutschen, er könne ihren Anforderungen nicht nachkommen, weil die Öffentlichkeit die Deportationen nicht wolle.

Wird Touvier der einzige Franzose bleiben, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht kommt?

Touvier wird der erste Franzose sein, der wegen antisemitischer Verfolgung vor Gericht steht – und der letzte, wenn man Maurice Papon (ein hoher Vichy-Beamter, der die Deportation der Juden aus Bordeaux organisiert hat und es nach dem Krieg bis zum Minister brachte; d. Red.) nicht vor Gericht bringt. Die Prozesse gegen Pierre Laval und Marschall Philippe Pétain wurden nicht wegen der Judenverfolgung geführt.

Wollen Sie mit dem Prozeß politisch etwas bewegen?

Bis Ende der 70er Jahre stand nirgends in unseren Schulbüchern, daß französische Polizisten die Juden abholten. Bis vor zwei Jahren hinterlegte Frankreichs Präsident noch jährlich Blumen am Grab von Pétain. Heute ist der 16. Juli, der Tag der großen Juden-Deportation aus Paris, ein nationaler Gedenktag. Das ist eine Schlacht für die Ehre Frankreichs. In 50 Jahren könnten sonst die Schüler sagen, wir hätten die Verbrecher gegen die Menschlichkeit verurteilen können, es aber nicht getan.

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