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Bei Feuerwerk und Franzenwein

■ „Rainvilles Fest“: Was von französischer Küche in englischem Garten im dänischen Altona blieb

Die Park-Landschaft am Geesthang der Elbe bei Ottensen zählte einst zu den schönsten der Welt: „... aber das wahre Schöne, das ist Neapel, die Umgebung von Dresden, der Genfer See, die Elbe bei Rainville...,“ erinnert sich Stendhal an seine Reisen. Wo heute die Seefahrtsschule über dem Fischereihafen und den wenig gastlichen Flüchtlingsschiffen thront, stand einst inmitten eines bis zur Elbe sich erstreckenden Parks das Landhaus des batavischen Gesandten Balthasar Elias Abbema. Nach Anbau einer zum Flanieren einladenden großen Freitreppe an die klassizistische Villa des Architekten Christian Frederik Hansen eröffnete dort 1798 Cesar Lubin Claude Rainville ein Landgasthaus.

Der ehemalige Offizier der königlichen Armee war 1793 vor der Revolution aus Paris geflohen und wurde mit diesem weithin berühmten Etablissement und zahlreichen anderen in und um Hamburg zum Botschafter französischer Lebensart und „Gott der Gastwirte“ in Norddeutschland. An diese weniger als 200 Jahre alte, aber seit Beginn des Jahrhunderts fast völlig vergessene Geschichte erinnert eine umfassende, von Bärbel Hedinger zusammengestellte Ausstellung im Altonaer Museum.

Vor lachsfarbenen Wänden künden Bilder und Stiche, Kostüme und Champagnerflaschen von einer bürgerlich kultivierten Welt, deren Dichter und Maler uns näher geblieben sind, als deren Vergnügungen in den dänischen Dörfern jenseits der Hamburger Grenze und jenseits des nachts geschlossenen Millerntors. Neben eigenem Besitz und den Hamburger Archiven konnte sich das Museum auf den ihm vor einigen Jahren überlassenen Nachlaß der Familie Rainville aus Denver/Colorado stützen. Deren Ahnen gehörten zu jenen fast 10.000 Emigranten, die sich in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in Hamburg und Altona niederließen. Nach Kopenhagen war das damals etwa 20.000 Einwohner zählende Altona die zweitgrößte Stadt des aufgeklärten und toleranten dänischen Gesamtstaates von Schleswig-Holstein bis Norwegen.

So zählten die dänischen Könige und der Hofstaat zu den regelmäßigen Gästen Rainvilles, aber auch nahezu alle Berühmtheiten, die das bis zur Besetzung durch die napoleonischen Truppen 1806-1814 wirtschaftlich und kulturell blühende Hamburg besuchten: Lady Hamilton nebst angetrauter Lordschaft und ihrem Liebhaber Lord Horatio Nelson, Dichter wie Stendhal, Ludwig Tieck, Wilhelm Raabe oder Heinrich Heine, dessen Onkel Salomon sein Landhaus auf dem Nachbargrundstück hatte.

Mit damals noch heftig umstrittener französischer Küche, mit Musik, Parkbeleuchtung im romantischen Garten und Feuerwerk bei Franzwein wurde ein bisher aristokratischer Lebensstil verbürgerlicht – immer noch teuer zwar und zuerst nur für die Oberschicht. Freidenker und Wallfahrer zu Klopstocks Grab nahe der gegenüberliegenden Ottensener Kirche trafen sich im französischen Kaffeehaus über dem englischen Garten am dänischen Ufer der Elbe: Eine Form multikultureller Einheit, die in den nationalstaatlichen Stimmungen des späteren 19. Jahrhunderts wieder verloren ging. So kam es in Hamburg immer wieder zu Judenverfolgungen, schon hundert Jahre vor 1935 wurden Juden aus den Kaffeehäusern herausgeworfen. Übrigens stand das erste Kaffeehaus im deutschsprachigen Raum nicht in Wien, sondern 1677 in Hamburg. Doch solche Aspekte der schön nostalgischen Ausstellung erschließen sich erst im ausführlichen, gut zu lesenden Katalog. Von gleichberechtigter Geselligkeit von Einheimischen und Immigranten, Adel und Bürgern gleich welcher Religion in harmonischer Landschaft, blieben nach Industrialisierung des seit 1867 preußischen Elb-ufers und Abbruch des Hauses im gleichen Jahr außer dem Namen nur drei Kuchenformen, aber leider nicht eine einzige Speisekarte.

Hajo Schiff

Kulturgeschichtlicher Katalog, 25 Mark; Altonaer Museum, Museumstr.23, Di-So, bis 26. Juni

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