piwik no script img

Koscher Video

■ Installationen von Christina Etzler in der Allgirls-Galerie. "Le M pris" aus der Blue-Velvet-Perspektive und Bagels international

Die Pionierzeit der Video- Kunst, in der alles neu und alles möglich war, ist schon lange vorbei. Die gut ausgestatteten, ehrgeizigen Clip-Produzenten der Pop- Industrie haben die Experimente der Künstler längst nachgeholt, und inzwischen sind sie es, die die Sehgewohnheiten des Publikums verändern – mit jedem new entry in die Top 20. Das stellt auch die Video-Künstler vor die große Frage: Wie schaffen wir es, die Sehgewohnheiten des Fernsehguckers zu durchbrechen, oder findet der routinierte Glotzer doch noch einen Schlupfwinkel vor der Video-Installation, in dem er seine passive Konsumhaltung re-installieren kann?

Die Künstlerin Christina Etzler, die an diesem Wochenende vom 18. bis 20. März zwei weitere ihrer Video-Arbeiten in der Allgirls- Galerie zeigt, geht angesichts dieses Dilemmas in die Offensive. In ihren Installationen für zwei bis sechs Monitore greift sie durchgehend auf die Standards der Film- und Bildindustrie zurück und zitiert die Formen der Bilddokumentation, der Fernsehreklame, des Videoclips, des Fotoalbums, der Multi-Media-Show, des amateurhaften Home-Videos und sogar des Überwachungsmonitors.

In der sechsteiligen Installation „polit d'oro – Bagels“ dekliniert sie das Bagel, ein koscheres kringelförmiges Gebäck, als Zeichen der An- oder Abwesenheit der jüdischen Bevölkerung durch die verschiedenen Fälle medialer Darstellungsformen. Neben der Multi- Media-Show, die die Herstellung der Bagels dokumentiert, zeigt ein anderer Monitor Fotografien nordamerikanischer Ladenzeilen mit Bagel-Shop. Ein weiterer Monitor registriert die sehr spärliche Kundschaft eines Charlottenburger Ladens, hinter dessen Tarnung als orientalischer Imbiß koschere Lebensmittel verkauft werden. Auf diese ursprünglich für das Schöneberger Kulturamt produzierten, dokumentarischen Bilder reagieren wie auch bei „Zucker“ und „Lingerie/U-Wäsche“ Zeichen aus der Produktwerbung: In „Bagels“ traktiert die Künstlerin ein hartgewordenes solches wütend mit Kau- und Schlagwerkzeugen, bis schließlich poppige Inserts und Tricks Mund und Bagel – nutzlos, aber schön – preisen. Durch ihre technische Mangelhaftigkeit aber bleiben diese Bänder wie die ganze Installation weit hinter den formalen Möglichkeiten sogar kommerzieller Clips zurück.

In einer zweiten Serie von Video-Arbeiten zitiert und manipuliert D.C. Etzler ganze Spielfilme, so Fellinis „8 1/2“, Liliana Cavanis „Nachtportier“ und Godards „Verachtung“. Der Betrachter sieht den „Nachtportier“ simultan auf zwei Monitoren: auf dem einen die um die Rückblenden gekürzte Fassung, auf dem anderen, sich wiederholend, die Serie der hintereinander geschnittenen Rückblenden. Durch die Parallelführung werden so Handlung und Rückblenden unmittelbar aufeinander bezogen; und die markanten Störungen in Rhythmus und Logik legen ein Interpretationsschema fest, das durchaus seine Folgerichtigkeit und seine schönen Momente besitzt. In der originalen, linear ablaufenden Schnittfolge des Films jedoch stellen die Erinnerung und Assoziationsfähigkeit des Betrachters weitere oder andere Beziehungen zwischen den Filmszenen her – und verknüpfen diese zu einem Netz von Vor- und Rückverweisen ganz persönlicher Art. So muß offenbleiben, was die Interpretation der Künstlerin vor anderen auszeichnet.

Auch Godards „Verachtung“, die am kommenden Sonntag zu sehen ist, wird einer analysierenden Aufführungspraxis unterworden: Die auf Cinemascope gedrehte Originalfassung verteilt D.C. Etzler auf zwei Monitore, so daß einmal die obere, einmal die untere Hälfte erscheint. Ein dritter Monitor enthält die deutschen Untertitel, und ein vierter wiederholt die Bildaufteilung der ersten beiden Monitore. Dies scheint die Godardschen Kompositionsprinzipien schlüssig widerzuspiegeln, jedoch verändert es den Film nicht und schadet ihm nur wenig: Im wesentlichen beweist dieses Experiment die Robustheit der Godardschen Filmwelt. Stefan Matzig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen