Zwischen den Rillen: Für eine Handvoll Erdnüsse mehr
■ Rock'n'Roll in diversen Reifegraden: David L. Roth, Soundgarden, Therapy?
Als der Verriß schon so hübsch fertig war im Kopf, fiel mir ein: Was habe ich eigentlich von dem Mann erwartet? David Lee Roth ist jetzt 38 Jahre alt und seit zwanzig Jahren im Geschäft. Und solange er weiter sein Hallodri-Image („ich fühle mich ganz einfach sexy“) pflegt, seinen Strandkörper mit Bergsteigen auf Vordermann hält, kein Öltanker vor der Küste Kaliforniens ausläuft oder der Bikini verboten wird, solange wird Roth big business bleiben.
Mit Stimme hatte das schon immer weniger zu tun als mit Sport. Am besten war Roth – als er noch bei Van Halen war, aber auch in den ersten Solo-Jahren – immer dann, wenn er die Idee vom Hardrock-Rebellen ganz tief unten im Fundus versteckte und ganz auf Unterhaltung machte: der Sexprotz als augenzwinkernder Zirkusgaul.
Und jetzt das. Auf „Your Filthy Little Mouth“ hat der alte Herr textlich zwar hauptsächlich wieder das Bewährte im Sinn: Autos und Mädels; gleich im ersten Song („She's My Machine“) erklärt er programmatisch seine ungebremste Liebe für ein 75er Baujahr – ob fleischlich oder metallen bleibt offen –, und auch danach geht's fröhlich weiter mit „riding“ in allen Varianten, auch wenn sich Ironie einschleicht: „And all I've learned from history is recognizing the same mistake, every time you make it...“
Musikalisch aber hat Roth sein Erfolgsrezept verlassen. Anstatt sein Ergüsse bis zum Erbrechen mit musikalischen Gimmicks aufzupeppen, die ihm früher Flinkfinger Eddie van Halen und später die Crème der ortsansässigen Studiomusiker lieferten, versucht er sich im Spagat zwischen halbherziger Innovation und herzhaftem back to the roots.
Das erste gerät ihm vollkommen daneben. Zwar liefert ihm Mitchielous ein paar wirklich elegante Ragga-Raps für „You're Breathin' It“, aber allerspätestens mit dem als zweite Version an die CD angehängten „Urban NYC Mix“ des Titels müßte Roth eigentlich schamrot im Tanzboden versinken. Man hört eben doch, daß Produzent Nile Rodgers schon seit einiger Zeit (auch mit seiner eigenen Band Chic) nicht mehr so recht weiß, wie man Diskotheken füllt. Auch Roths Anstrengung – ganz gegen seine sonstige Art – „authentisch“ zu klingen, bleibt im Versuchsstadium stecken: Hardrock ist nun mal eine der langweiligsten Musiken dieses Planeten, und die stimmlichen Begrenztheiten von Roth tun ein übriges. Fürs CD-Booklet hat er sich übrigens ganz gediegen in weißem Hemd und dunklem Zwirn abbilden lassen – sieht jetzt aus wie Don Johnson. Besser hätte er sich dran erinnern sollen, was die Village Voice einmal gut an ihm fand: die Mischung aus „frohgestimmter Aufdringlichkeit und reiner Idiotie“.
Unsere Freunde von der Grunge-Front dagegen haben es ja zumindest einen Sommer lang geschafft, uns weiter an das angeblich so Revolutionäre im Rock'n'Roller glauben zu lassen. Zugegebenermaßen sind wir alle drauf reingefallen, anstatt dem weisen David Lee zu glauben. Soundgarden waren da nicht ganz unbeteiligt, auch wenn ihnen schließlich Nirvana und Pearl Jam nur ein paar Erdnüsse übrigließen, und das, obwohl sie – meines Wissens – die ersten waren, die von SubPop zur Industrie gingen.
Mit der neuen Platte zeigen sie unmißverständlich, wes Geistes Kind sie sind. Bei „Superunknown“ erinnert nur noch der Titel an die Versprechungen, die der Grunge einmal mit „Superfuzz Bigmuff“ gegeben hat (diese Mini-LP von Mudhoney – Gott hab sie selig – bleibt wohl auf ewig das Beste, was das Genre hervorgebracht hat). Es regiert ein etwas schleppender, wie angestaubt wirkender Metal-Groove, es gibt Balladen und Stampfer, den klassischen Songaufbau und das geschmackvolle Intro, Gitarrensoli und Sängergequietsche – und keinerlei Überraschungen. Das ganze Zeug ist so versiert und abgekartet gemacht, daß man Pickel davon bekommt.
Als Iren fehlte Therapy? zumindest die geographische Nähe zu Seattle. Zum Glück. Auch mit ihrem Faible, reichlich Samples und noch mehr Atonalität und Monotonie zu benutzen, hoben sie sich schon immer vom Grunge ab – ohne allerdings verhindern zu können, mit in dieser übervollen Schublade zu landen.
Mit dem Industrie-Deal sind nun auch Therapy? den Weg aller ir(d)ischen Bands gegangen und nun auf „Troublegum“ irgendwie, nein, ganz bestimmt poppiger geworden. Was sich allerdings schon mit einer vorhergehenden EP andeutete. Die Auskoppelung „Screamager“ (auch auf „Troublegum“ zu finden) brachte es gar in die britischen Top ten.
Ironischerweise haben Therapy? das ausgerechnet dem Verstärken von Punk-Elementen in ihrer Musik zu verdanken: Weniger Samples, straight uffta durchgehende Songs, auf den Punkt gespielte Hardcore- Rhythmen, teilweise mitgröhlgeeignete Refrains und, vor allem: ein nahezu klassischer, genial satter Gitarrensound. Auch textlich kommen sie von der ersten Zeile an, als wollten sie austesten, was man sich alles erlauben kann: „I'm gonna get drunk / Come round an fuck you up“, „The world is fucked and so I am“, „Masturbation saved my life“ etc.
Natürlich wissen sie, daß – spätestens, seit Clash-Songs für Levi's-Jeans werben – eh alles erlaubt ist. Nur kommt die Botschaft hier so kraftvoll, als könnte noch einmal die Bank von England geknackt werden. Und damit haben Therapy? für diese Spielzeit den Rock'n'Roll- Auftrag bereits erfüllt. Thomas Winkler
David Lee Roth: „Your Filthy Little Mouth“ (Reprise/WEA).
Soundgarden: „Superunknown“ (A&M/Polygram).
Therapy?: „Troublegum“ (A&M/Polygram).
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