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Wenn Brüssel im Nordmeer regiert

Norwegens EU-Gegner laufen Sturm  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Oslo (taz) – „Schlimmer als befürchtet“, lautet das Urteil von Anne Enger Lahnstein, Vorsitzende der Zentrumspartei, zum Verhandlungsergebnis von Brüssel. Eine Einschätzung, die ihr Kollege von der ebenfalls EU-kritischen Sozialistischen Linkspartei teilt: In allen wichtigen Punkten habe die Regierung die Segel gestrichen. Die beiden Führer des parlamentarischen EU-Widerstandes sind sich mit den Berufsorganisationen der Fischer einig über das, was sie für den schlimmsten Südenfall halten: die Aufgabe des Kontrollrechts über den Fischbestand im Barentsmeer.

Daß Fischereiminister Jan Henry T. Olsen die zusätzliche Fangquote für die portugiesische und spanische Fischfangflotte von 3.000 auf 6.000 Tonnen verdoppeln mußte, rückte angesichts der Tatsache, daß das Nordmeer nördlich des 62. Breitengrades nun zum „EU-Meer“ (Anne Enger Lahnstein) wird, ganz in den Hintergrund des Kritiksturms, der nach Abschluß der Beitrittsverhandlungen losbrach. Seit den 70er Jahren hatten Norwegen und die Sowjetunion, später Rußland die Verantwortung für den Fischfang im Nördlichen Eismeer übernommen. Die Kontrolle über die Bestände funktionierte in den letzten Jahren offensichtlich recht gut. Aufgrund wissenschaftlicher Analysen handelten Norwegen und Rußland eine Gesamtquote aus, die jährlich abgefischt werden durfte. Mit Erfolg: Die Bestände – vor allem, was den wichtigen Dorsch angeht – haben sich wieder deutlich erhöht und sichern zukünftige Einkünfte.

Die norwegisch-russische Kontrolle der Fangquote funktioniere wesentlich besser als die EU-Kontrolle in deren Fischgewässern, wußte auch Norwegens Fischereiminister Olsen noch vor einigen Wochen: „Die EU hat ihre Bestände leer gefischt und es nicht geschafft, neue aufzubauen. Sie hat eine industrielle und keine ökologische Einstellung. Ich möchte nicht, daß diese wichtige Kontrolle von Brüssel aus geführt wird.“ Sätze, die ihm in der Volksabstimmungskampagne noch mehr vorgehalten werden dürften als sein Wort, Norwegen habe „keinen Fisch zu verschenken“.

Zwar ist die Einschätzung von Olsen, Norwegen und Rußland verwalteten den Fischbestand „ökologisch“, mehr als fraglich. Zumindest aber versucht Oslo die Bestände unter langsichtiger ökonomischer Perspektive zu befischen. Willkommener Nebeneffekt: Rußland und Norwegen konnten die Fänge brüderlich untereinander aufteilen. Nur drei Prozent der jährlichen Fangquote gaben sie in der Vergangenheit an andere Fischfangnationen ab. Was den südeuropäischen Fischern natürlich schon lange ein Dorn im Auge war.

„Wir mußten das Zugeständnis machen, um ein Abkommen zu erhalten“, räumt Olsen ein. „Ein Schritt, der es unmöglich machen wird, das Abkommen zu bejahen“, kontert Nordlys, die in Tromsö erscheinende sozialdemokratische Zeitung, in einem Kommentar.

Nach einer Übergangsfrist bis zum 1. Juli 1998 wird die EU die Kontrolle über den Fischbestand und die Festlegung und Verteilung der Quoten übernehmen – sollte Norwegen tatsächlich EU-Mitglied werden. Die Fischereiorganisationen befürchten, daß die EU- Verwaltung sich vor allem von einem Prinzip leiten lassen wird: der Überkapazität ihrer Fischereiflotte Beschäftigung zu beschaffen. Was die Kontrolle der Einhaltung der Quotenregelung angeht, so sehen Norwegens Fischer noch schwärzer: Die EU-Kontrolle ist in jedem Mitgliedsland den jeweils eigenen Fischfangbehörden überlassen. Vor allem den französischen und spanischen Kontrollbehörden werfen die Norweger vor, systematisch durch die Finger zu sehen und nur Bruchteile der tatsächlichen Fänge zu registrieren. Der offene EU-Markt bedroht noch unter einem weiteren Gesichtspunkt die Zukunft der norwegischen Fischerei: Der bisher verbotene Aufkauf von norwegischen Fischfangfahrzeugen und deren Fangquoten wird möglich werden. Angesichts der wenig kapitalkräftigen und in kleine Einheiten zersplitterten Fischerei des Landes für Großkapital aus den anderen EU-Ländern ein lohnendes Geschäft. In Großbritannien befinden sich beispielsweise bereits zehn Prozent der ebenfalls mittelständischen Fischfangflotte unter ausländischer Kontrolle. – Aber Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland zeigte sich von dem Ergebnis von Brüssel erwartungsgemäß befriedigt. Ein „gutes Abkommen“ sei gefunden worden, Norwegen solle „die historische Chance ergreifen, zusammen mit seinen nordischen Nachbarn an der weiteren internationalen Zusammenarbeit für eine Sicherung der Beschäftigung, der Umwelt, des Sozialstaates und des Friedens auf diesem Kontinent teilzunehmen“. Ein Termin für die Volksabstimmung steht noch nicht fest. Sie dürfte zum Jahresende stattfinden. Vermutlich nach der auf den 18. September festgesetzten Abstimmung in Finnland und der für November erwarteten in Schweden.

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