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Die Insel: Glaube an die Vollendung der Geschichte

■ Die Vereinigung der Staatlichen Museen aus den getrennten Stadthälften Berlins schuf die Voraussetzungen für ein Anknüpfen an die musealen Traditionen des 19. Jahrhunderts

In Erinnerung vieler Berlin-Besucher blendet sich über den Pergamonaltar und die Fragmente des Altertums unwillkürlich das Bild der Museumsinsel, deren Gestalt seit den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges selbst Fragment geblieben ist. Unübersehbar klaffte die Lücke des „Neuen Museums“, durch dessen unzugängliche Ruinen der Wind pfiff. In diesem Zustand der Baufälligkeit schien die Bemühung des Klassizismus, sich in der Antike zu spiegeln, von deren Jahrhunderte dauernden Verfall wie in einem Zeitraffer eingeholt. Die Zeugnisse der Zerstörung wirkten wie ein desillusionierender Filter, durch den die zurückgelegte Distanz zwischen den humanistischen Idealen der Aufklärung und der Gegenwart sichtbar wurde.

Auf dem Sprung ins nächste Jahrtausend bietet sich jetzt aber den Verwaltern der Geschichte die Gelegenheit, wieder an die musealen Traditionen aus der Gründerzeit der Museen im 19. Jahrhundert anzuknüpfen. Die Wiedervereinigung der Staatlichen Museen aus den getrennten Stadthälften Ost- und Westberlins, in denen die alten Bestände und neu gesammeltes Museumsgut über verschiedenen Standorte verteilt waren, schuf dafür die Voraussetzungen. So entwickelte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Träger der Museen, ein Konzept der kulturhistorischen Rekonstruktion, in dem „die archäologischen Museen künftig in ihren Schausammlungen thematisch übergreifende Einheiten bilden, um dem Besucher als eine Welt zu erscheinen“. Damit kehrt die Kunstgeschichte an einer ihrer Ausgangspunkte zurück.

Dies betrifft vor allem das Alte Museum, Ausgangspunkt des architektonischen und zugleich Keimzelle des musealen Konzepts der Museumsinsel. Von Schinkel gebaut und 1830 eröffnet, stellte es die Antike zugleich als Vollendung des Altertums und Ideal der Neuzeit in den Mittelpunkt der Kunstgeschichte. Zur Zeit für wechselnde Ausstellungen genutzt – Rembrandt, die Wikinger und Etrusker zogen hier durch –, soll es langfristig, als Schlußstein der Neuordnung der Museumsinsel, wieder von der griechischen, etruskischen und römischen Kunst bezogen werden.

Dem Alten Museum folgte das Neue Museum, das ab 1863 den Blick rückwärtig erweiterte auf die ägyptischen und vorgeschichtlichen Kulturen und auch die „vaterländischen Altertümer“ bewahrte. In dem Entwurf von Professor Georgio Grassi, der den Wettbewerb zum Wiederaufbau gewann, ist ein verkürzter Rundgang vorgesehen, der das Pergamonmuseum, das seine historische Rolle bis heute kaum verändert hat, mit dem Neuen Museum vernetzt. Am Beginn dieser Promenade der Highlights, der Geschichte im Zeitraffer konsumieren läßt, hält die Büste der Nofrete, aus dem Ensemble der ägyptischen Kultur herausgelöst, in einem besonders gesicherten Kabinett Hof.

Am Beginn der Berliner Museumsgeschichte entsprachen die gespeicherten Kulturgüter jenem System der historischen Ordnung, das Hegel in seiner Ästhetik und Geschichtsphilosophie entworfen hatte. Sah er in der Antike eine später nie mehr erreichte Durchdringung von Ideal und Wirklichkeit, so sprach er der Kunst seiner Zeit dagegen ihre bedeutungsvolle Rolle auf dem Weg zur Vernunftwerdung der Gesellschaft ab. Doch schon lange hatten Künstlerverbände und Kunstvereine ein Museum zeitgenössischer und nationaler Kunst entworfen, als es 1861 endlich zur Gründung der Nationalgalerie kam. Unterstützt wurde das Anliegen der Kunstfreunde durch die Schenkung einer privaten Sammlung an den preussischen Staat. Auf der Museumsinsel konnte die Nationalgalerie 1876 einen Kunsttempel beziehen, der in seiner monumentalen Bedeutungsfülle den vorhergehenden Bauten keineswegs nachstand. Mit der Sammlung, die einerseits schon als Spiegel des wachsenden bürgerlichen Selbstbewußtseins diente, während sie andererseits noch mit Historienbildern zur „vaterländischen“ Geschichte gespickt war, schloß sich eine gedankliche Kette; denn nun hatte sich der preussische Staat selbst an die Spitze jener historischen Entwicklung gesetzt, die er in seinen Museen dokumentierte. Als Gesamtkunstwerk verkörperte die Insel den Glauben an die Vollendung der Geschichte.

Vor wenigen Wochen eröffnete die Alte Nationalgalerie mit einer Neuordnung der vereinigten Bestände des 19. Jahrhunderts – vorerst nur als ein Provisorium, denn 1995 steht die Renovierung ihres Baus an. Die Neuordnung aber rekonstruierte ein historisches Ideal, das in der Zeit seiner Entstehung oft nur gegen den Widerstand der kaiserlichen Kulturpolitik durchzusetzen war. Ohne die Hartnäckigkeit der Direktoren wäre es zum Beispiel nie zur Einbeziehung der französischen Malerei gekommen.

Die Legitimierung der eigenen Kultur und ihrer Anbindung an die Geschichte dienten auch vielfach die monumentalen Wandgemälde im Neuen Museum, von denen einige noch immer vorhanden sind. Der Wiederaufbau dieses Hauses wird zum Paradigma für den Umgang mit dem teleologischen Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts, aus dessen Geist die Museen entwickelt wurden. Es kommt darauf an, die historischen Spuren neu zu befragen, damit die Sinnstiftung der Geschichte nicht erneut zum Ersatz für eine Identitätsstiftung in der Gegenwart wird. Katrin Bettina Müller

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